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Kultursubstrate: Die Zukunft gehört nachwachsenden Rohstoffen Gartenbau

Der Abschied von Torf in Kultursubstraten wird kommen. Die Folgen: Mehr Vielfalt auf dem Substratmarkt und ein erhöhter Kommunikations- und Beratungsbedarf. Wir haben nachgefragt: Wo liegen Chancen und Hemmnisse?

In Deutschland darf Torf nur noch auf ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen abgebaut werden.
Bild: contadora1999/stock.adobe.com

Intakte Moore sind wertvolle Lebensräume, klimarelevante CO2-Speicher und bedürfen des Schutzes. Außerdem gleicht Torf aufgrund seiner langen Entstehungszeit einer endlichen Ressource und muss in absehbarer Zeit durch andere, im Idealfall nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden.

Diesen Aussagen stimmen mittlerweile wohl auch in der Torfindustrie, in der Substratproduktion, im Gartenbau und im Agrarsektor die meisten Menschen zu – zumal der Druck von Verbraucherseite steigt. Zahlreiche Betriebe nutzen bereits heute torfreduzierte Substrate. Stark auseinander gehen die Einschätzungen jedoch, wenn es um den zeitlichen Fahrplan zum Torfausstieg geht.

Wir sprachen mit Gartenbauexperte Michael Emmel über Chancen und Hindernisse beim Einsatz von Torfersatzstoffen.

Michael Emmel ist Diplom-Ingenieur der Agrarwissenschaften und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau in Hannover-Ahlem, einer Einrichtung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört das Thema Substratausgangsstoffe. Er war zudem am Verbundprojekt „Torfersatzstoffe im Gartenbau (TeiGa)“ des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz beteiligt, das 2019 auslief.

praxis-agrar.de: Herr Emmel, warum ist ein kompletter Torfverzicht nach Ansicht der meisten betroffenen Betriebe noch nicht möglich?

Michael Emmel: Torf vereint als Substratausgangsstoff viele verschiedene Vorzüge: Er lässt sich für nahezu alle gartenbaulichen Kulturen passend einstellen. Er ist sehr homogen und gut für maschinelle Verarbeitungsweisen geeignet. Er ist zurzeit noch relativ preisgünstig. Und er ist noch in ausreichenden Mengen verfügbar. Alle Punkte sind Grundvoraussetzungen für die großflächige Pflanzenproduktion, wie wir sie heute größtenteils haben.

Auch torffreie Substrate können hervorragende Ergebnisse bringen. Hier gedeihen Pelargonien und Calibrachoa in einem torffreien Substrat aus Kokos, Rindenhumus, Holzfaser und Ton.
Bild: Annette Pilz/LWK Niedersachsen

Schon seit rund 30 Jahren befassen sich sowohl die verschiedenen Interessensgruppen als auch wissenschaftliche Einrichtungen intensiv mit der Suche nach geeigneten Torfersatzstoffen. Bis heute wurde allerdings kein Rohstoff gefunden, der alle Kriterien genauso zuverlässig erfüllt wie Torf. Mischungen aus verschiedenen Torfersatzstoffen können für bestimmte Kulturen durchaus sehr gut funktionieren, aber einen kompletten Umstieg innerhalb kurzer Zeit halte ich momentan tatsächlich für nicht realistisch.

praxis-agrar.de: Es gibt aber bereits gartenbauliche Betriebe, die in der Produktion komplett auf Torf verzichten, offensichtlich erfolgreich – ein Widerspruch?

Emmel: Nein, kein Widerspruch, sondern ein struktureller Unterschied. Bei den Vorreitern handelte es sich meist um Betriebe, die sich auf den ökologischen Anbau spezialisiert haben, oder sich Wettbewerbsvorteile im Handel versprechen, indem sie Nischen besetzen – etwa torffrei produzierte Weihnachtssterne. Bei einer solchen Spezialisierung können sich die höheren Kosten durchaus rentieren, mit denen die Umstellung auf torffreie Substrate aktuell zwangsläufig einhergeht. Die Umstellung ist zudem auf großen Flächen mit einzelnen Kulturen deutlich einfacher als bei einem gemischten Sortiment.

Um aber den kompletten Gartenbau und den kompletten Agrarsektor mit torffreien Substraten versorgen zu können, dafür fehlen uns zurzeit schlicht die notwendigen Mengen an Torfersatzstoffen.

praxis-agrar.de: Wodurch kommen die höheren Kosten zustande?

Kokosfasern eignen sich gut für die Substratproduktion, sind aber auch in anderen Branchen sehr gefragt.
Bild: Ariane Citron/stock.adobe.com

Emmel: Das hängt zum einen von der Verfügbarkeit der Rohstoffe ab. Für die bereits in größeren Anteilen genutzten Rohstoffe, nämlich Rinden-, Holz- und Kokosprodukte, besteht eine Konkurrenzsituation zu anderen Branchen, was zu einem Preisanstieg führen kann. Rohstoffe wie Kokos sind zudem in der Produktion und/oder aufgrund längerer Transportwege teurer als Torf. Bei Grünkompost besteht zwar keine Konkurrenzsituation, aber hier haben wir mit den jährlich genutzten 500.000 Kubikmetern bereits annähernd die Höchstmenge an regional produzierbarem Material in entsprechender Qualität erreicht.

Der Preis für einzelne Rohstoffe wird also zum einen dadurch beeinflusst, auf welche Rohstoffe der jeweilige Substrathersteller zurückgreifen kann, und ob diese aus einer regionalen Quelle stammen oder ob sie über weite Strecken transportiert werden müssen. Der Transport zählt im Übrigen zu den Kriterien, die neben der rein ökonomischen Betrachtung auch in eine ökologische Bewertung der verschiedenen Ausgangsstoffe einfließen sollten.

Gerade weil die Verfügbarkeit der verschiedenen Torfersatzstoffe regional sehr unterschiedlich sein kann, wird es auch eine deutlich höhere Zahl unterschiedlicher Substratrezepturen geben – der eine Hersteller setzt vorwiegend auf Holzfaser, der andere arbeitet viel Kokos mit ein, ein dritter mischt aufgrund der regionalen Verfügbarkeit vielleicht noch Gärreste bei. Jede einzelne Mischung muss zuverlässig funktionieren, die Substrathersteller müssen also entsprechend intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit betreiben, auch das verursacht Kosten.

In der Pflanzenproduktion wird es vor und während der Umstellungsphase auf eine deutlich torfreduzierte oder torffreie Produktion möglicherweise einen erhöhten Beratungsbedarf geben und man wird die Kulturführung anfangs noch genauer im Blick behalten. Grundsätzlich muss hier aber die Substratbranche liefern: Für Betriebe in der Pflanzenproduktion müssen Substrate auch weiterhin ein zuverlässiges Betriebsmittel sein, über das man sich nicht mehr den Kopf zerbrechen muss als bislang.

Für viele Zierpflanzen können wir definitiv schon jetzt festhalten: Stimmt die Mischung, stehen torffreie Substrate torfhaltigen in nichts nach. Das haben unsere Anbauversuche im Rahmen des TeiGa-Projekts klar gezeigt.

Verbundprojekt TeiGa – Torfersatzstoffe im Gartenbau

Die Niedersächsische Landesregierung hat das Ziel ausgegeben, den Einsatz von Torf im niedersächsischen Produktionsgartenbau deutlich zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund arbeiteten im Forschungsverbundprojekt TeiGa wissenschaftliche Einrichtungen mit Projektpartnern aus der Substrat- und Pflanzenproduktion sowie mit der Gartenbauberatung eng zusammen.

Ziel war es, konkrete Empfehlungen für Substratmischungen aussprechen zu können sowie den Informationsfluss zum Thema Torfersatzstoffe zu verbessern. Das Projekt begann im März 2016 und lief bis Ende Februar 2019. Veröffentlichungen zu den Versuchsergebnissen finden Sie im Informationsbereich Torfersatzstoffe auf der Infoplattform Hortigate.

praxis-agrar.de: Welche Chancen und welche Risiken sehen Sie derzeit für Betriebe, die bei einigen Kulturen oder bei der kompletten Produktion auf Torf verzichten möchten?

Emmel: Mit Natur- und Klimaschutz sowie mit Regionalität lässt sich im Handel punkten. Ein freiwilliger Torfverzicht kann ein Aushängeschild und damit ein Wettbewerbsvorteil sein, insbesondere für spezialisierte Betriebe und Betriebe mit Direktvermarktung. Wer auf ökologischen Anbau setzt, für den wird die Substratwahl mittelfristig auch eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Ein frühzeitiger Umstieg kann zudem in Ruhe geplant werden: Man kann eine Kultur nach der anderen angehen, Verschiedenes austesten, Kontakte zu Versuchsanstalten und Substratproduzenten aufbauen beziehungsweise intensivieren und genießt als Vorreiter oft eine besonders intensive Beratung und Begleitung. Zurzeit werden beispielsweise immer wieder Betriebe für die Teilnahme an wissenschaftlichen Versuchsreihen gesucht.

All das hilft, die Risiken zu mindern, die natürlich vorhanden sind, wie wir es auch in unseren Versuchen immer wieder erleben. Je nach Substratmischung kann es während der Kultur beispielsweise zu Problemen aufgrund von Stickstoffimmobilisierung, Verpilzung, Herbizidrückständen oder Natriumchlorideinträgen kommen. Eine Umstellung erfordert daher definitiv eine engmaschige Überwachung vor und während der Kultur.

Unabhängig davon, ob und wie umfassend jetzt schon Kulturen umgestellt werden, ist es in jedem Fall ratsam, sich mit dem Thema torfreduzierte und torffreie Produktion auseinanderzusetzen und die Entwicklung genau zu verfolgen. Wer zu lange wartet, muss gegebenenfalls kurzfristig auf Forderungen von Abnehmern – etwa aus dem Lebensmitteleinzelhandel – oder auf politische Vorgaben reagieren. Das ist einerseits schwieriger, andererseits liegen mit jedem Jahr neue Erkenntnisse vor, die einen Umstieg erleichtern können. Man muss eine solche Entscheidung daher individuell abwägen.

Kompost ist ein wichtiger Zuschlagstoff.
Bild: ezoom/stock.adobe.com

praxis-agrar.de: Wie ist der Stand der Dinge, welche nachwachsenden Rohstoffe könnten grundsätzlich eine wesentliche Rolle als Substratausgangsstoffe spielen? Welche könnten zudem regional angebaut werden, möglicherweise sogar speziell für die Substratproduktion?

Emmel: In größerem Umfang kommen zurzeit Grünkompost, Rindenhumus, Holzfaser, Kokosfaser und Kokosmark zum Einsatz. In kleinerem Umfang finden beispielsweise auch Reisspelzen, Dinkelspelzen, Kokoschips, Holzhäcksel, Miscanthus-Häcksel, Flachsschäben, Hanfschäben, Maisstroh, Gärreste und Torfmoose Verwendung.

Von den bislang wenig verwendeten Rohstoffen sind insbesondere die Torfmoose (Sphagnum) interessant. Sie kommen Torf in ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften sehr nahe, sind bereits seit einigen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Versuche und könnten gezielt als Rohstoff für die Substratproduktion angebaut werden – auch hierzulande. Die Forschungen hierzu laufen seit rund 15 Jahren und konzentrieren sich bereits ganz konkret auf die Anbaumethoden, allerdings trägt sich das „Sphagnum Farming“ momentan noch nicht selbst.

Theoretisch ebenfalls vielversprechend sind außerdem Pflanzenarten, die viel Biomasse in kurzer Zeit bringen, beispielsweise Chinaschilf (Miscanthus), Durchwachsene Silphie (Silphium perfoliatum) oder der Blauglockenbaum (Paulownia). Außerdem Arten, die in Paludikultur angebaut werden können, etwa Weiden (Salix), Schwarz-Erlen (Alnus glutinosa), Schilf (Phragmites australis), Rohrkolben (Typha), Seggen (Carex) oder Rohrglanzgras (Phalaris arundinacea).

praxis-agrar.de: Was ist unter Paludikultur zu verstehen?

Emmel: Paludikultur bezeichnet die Land- oder Forstwirtschaft auf nassen Böden. Das könnten zum Beispiel trockengelegte Moorflächen sein, die zu diesem Zweck wiedervernässt werden. Während sich der Torf in den trockengelegten Böden zersetzt und dadurch CO2 emittiert, wirken die feuchten Böden als CO2-Speicher, können aber gleichzeitig landwirtschaftlich genutzt werden und positive Deckungsbeiträge erzielen. Man schlägt also mehrere Fliegen mit einer Klappe.

Die Durchwachsene Silphie bildet viel Biomasse in kurzer Zeit und eignet sich für die Paludikultur.
Bild: Bildagentur-o/stock.adobe.com

Die Paludikultur ist allerdings gerade erst in den Fokus der Forschung gerückt und für die genannten Pflanzenarten müsste erst einmal geklärt werden, für welche Verwendungszwecke sie sich überhaupt eignen. Gerade im Hinblick auf die Substratproduktion braucht es da noch viel Grundlagenforschung: Die chemischen, physikalischen und biologischen Eigenschaften der aus den Pflanzen gewonnenen Rohstoffe müssen genauer untersucht werden und man muss klären, ob, und falls ja, in welcher Form die einzelnen Materialien eingesetzt werden könnten. Möglicherweise müssten manche Materialien vor der Weiterverarbeitung gewaschen werden, um unerwünschte Substrateinträge zu vermeiden, andere lassen sich vielleicht nur im aufgefaserten Zustand verwenden oder nur in Kombination mit einer zusätzlichen Stickstoffgabe.

Es ist definitiv ein spannendes Thema, von dem wir in den nächsten Jahren sicherlich noch hören werden, nicht nur im Zusammenhang mit der Substratproduktion.

praxis-agrar.de: Was schätzen Sie, in wie vielen Jahren wird der Torfanteil in der Substratproduktion auf 50 Prozent gesunken sein?

Emmel: Das ist schwer zu sagen, weil es von so vielen Faktoren abhängt. Die wenigen Länder, die bereits konkrete Zielmarken festgelegt hatten, mussten daher auch zwischenzeitlich alle wieder zurückrudern. Sicher sagen lässt sich nur, dass die Umstellung auf torffreie Substrate kommen wird, einfach, weil Torf in Deutschland eine endliche Ressource ist. Ich bin aber ganz optimistisch, denn in der Substratbranche gibt es hierzulande wohl kein Unternehmen, das sich nicht mit dem Thema Ersatzstoffe beschäftigt – schon im eigenen Interesse.

Letzte Aktualisierung 01.03.2024

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