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Agrarmeteorologischen Beratung im Weinbau Weinbau

Die Agrarmeteorologie beschäftigt sich mit dem Einfluss des Wetters, der Witterung und des Klimas auf Pflanzenbestände. Je nach Entwicklungsstand der Pflanzen unterscheiden sich die Wechselwirkungen mit dem Boden und der Atmosphäre.

Anwendung agrarmeteorologischer Modelle im Weinbau

Quelle: C. Frühauf

Weinreben werden in Deutschland vor allem auf klimatisch begünstigten Hängen (Ausrichtung nach Südost, Süd oder Südwest) angebaut. Für den Weinbau ist besonders das Mikroklima von Bedeutung. Die meteorologischen Vorhersagemodelle bieten eine wichtige Grundlage für einen effizienten Pflanzenschutz: Über Modelle zur Blattflächen- und zur Blattnässeentwicklung lassen sich in Verbindung mit weiteren Modellen Vorhersagen zur Infektionsgefahr zum Beispiel durch den Falschen Mehltau erstellen. Dazu gehören z. B. auch Modelle zum Pflanzenwachstum und zum Bestandesklima.

Krankheitsmodelle zu Pilzlichen Erkrankungen der Weinrebe

Im Weinbau führen insbesondere pilzliche Schaderreger zu großen wirtschaftlichen Schäden, die sich sowohl auf quantitativer als auch auf qualitativer Ebene zeigen. Um trotzdem hochwertiges Lesegut erzeugen zu können, ist beim Anbau der klassischen, pilzanfälligen Rebsorten ein hoher Fungizideinsatz erforderlich.

Grundlage für die Durchführung von Pflanzenschutzmaßnahmen ist der Integrierte Pflanzenschutz. Dieser besagt, dass biologische, biotechnische, pflanzenzüchterische sowie anbau- und kulturtechnische Maßnahmen vorrangig berücksichtigt werden sollen, bevor der chemische Pflanzenschutz zum Einsatz kommt.

Durch die Nutzung von Krankheitsmodellen als Entscheidungshilfe beim Rebschutz lässt sich eine wesentlich zielgenauere Umsetzung von Pflanzenschutzmaßnahmen erreichen. Dadurch kann neben einer Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes der Anteil des gesunden Lesegutes und damit die Traubenqualität enorm gesteigert werden. Was dies konkret bedeutet, lässt sich am Beispiel des Falschen Mehltaus verdeutlichen.

Das Beispiel: Falscher Mehltau

Grundlage für alle Krankheitsmodelle sind mathematische Funktionen, die die Biologie der Schaderreger mit den Wetterdaten in Beziehung setzen.

Zu den wirtschaftlich wichtigsten pilzlichen Schadorganismen der Rebe zählt Plasmopara viticola, der Erreger des Falschen Mehltaus In der weinbaulichen Praxis wird diese Pilzkrankheit meistens mit dem ursprünglichen Gattungsnamen des Pilzes – Peronospora – bezeichnet.

Bei der Epidemiologie des Falschen Mehltaus ist bedeutsam, dass im Frühjahr nicht nur eine einzige bodenbürtige Infektion – die so genannte Primärinfektion – stattfindet, sondern dass grundsätzlich weitere Infektionen vom Boden ausgehend möglich sind, und zwar bis in den Juli hinein.  Als Transportpfade der beweglichen Sporen (Zoosporen) vom Boden in die Laubwand wurden Splashtropfen (aufspritzende Regentropfen) identifiziert.

Reifung und Keimung der Wintersporen

Grundsätzlich können bodenbürtige Infektionen durch P. viticola nur dann stattfinden, wenn die Wintersporen (Oosporen) ausgereift sind. In einem zweiten Entwicklungsschritt werden dann Zoosporen (Schwärmsporen) gebildet. Sie sind mit zwei Geißeln ausgestattet und somit in der  Lage, in Flüssigkeit zu schwimmen.

Zur Beurteilung der Bildung und Entlassung von Zoosporen sind der Wassergehalt und die Temperatur im sporentragenden Oberboden von Bedeutung. Diese werden in einem speziell für Rebbestände angepassten Bestandesklimamodell berechnet.

Die mit Hilfe des Bestandsklimamodells berechneten Parameter Bodenfeuchte und Bodentemperatur des Oberbodens dienen als Eingangsgrößen zur Modellierung bodenbürtiger Infektionen von P. viticola.

Abschätzung der Spritzwasserhöhe

Kernstück des erweiterten Krankheitsmodells ist das Splash-Modul. Große Regentropfen können am Boden mit infektiösen Zoosporen beladen werden und so in die Laubwand und auch in die Atmosphäre gelangen. Für P. viticola wurden die physikalischen Basisdaten der hierbei stattfindenden Prozesse im Rahmen eines Verbundprojektes erstmals sehr detailliert erarbeitet.

Die Höhe, die Spritzwasser erreichen kann, ist grundsätzlich abhängig vom Regentropfenspektrum (d. h. Landregen < Schauer < Gewitter) sowie von der Beschaffenheit der Aufschlagfläche (z. B. Sandboden, Grasnarbe oder Wasserfilm).

Die Spritzwasserhöhen über Gras erreichen im Mittel nicht die Werte über Brache. Trifft ein Niederschlagstropfen auf der Brache auf, wird die gesamte Energie auf die Spritzwasser-Tröpfchen verteilt. Bei einer begrünten Rebgasse hingegen wird ein Teil der Energie vom Gras aufgenommen, da die Grashalme beim Auftreffen der Niederschlagstropfen etwas zurückfedern.

Bodeninfektionsindex

Der so genannte Bodeninfektionsindex (BI) umfasst Bodenfeuchte-Parameter, die nach Abschluss der Reifung der Oosporen für deren Keimung von Bedeutung sind. So besteht z. B. ein enger Zusammenhang zwischen dem Flüssigwasserpotenzial im Oberboden und der Möglichkeit der Bildung kleiner Wasserpfützen, in denen die begeißelten Sporen schwimmen können und dadurch über einen längeren Zeitraum potenziell infektiös bleiben. Von diesen Bedingungen hängt die Auslösung einer erfolgreichen Infektion durch Splash maßgeblich ab.

Sekundärinfektionen

Je wärmer die Region und je höher die Niederschläge im Mai/Juni, desto schneller und stärker kann sich die Peronospora nach erfolgter Primärinfektion ausbreiten. Voraussetzung sind blattunterseits gebildete Sporangien. Nur beim Vorliegen definierter meteorologischer Bedingungen kommt es zur Bildung eines Sporangienrasens auf der Blattunterseite oder an den Gescheinen, die als Sporulation bezeichnet wird.

Folgende Bedingungen müssen dafür erfüllt sein:

  • sichtbare Ölflecken
  • Dunkelheit
  • durchgehende Blattnässe von mindestens vier Stunden oder eine relative Feuchte > 97%
  • Temperatur > 12,5°C zu Beginn der Feuchtephase
  • Durchschnittstemperatur > 11°C während der ersten vier Stunden der Nässe-Dunkelperiode

Nur wenn alle Punkte erfüllt sind, bildet sich der Sporangienrasen. Bei einer Dauer knapp unter vier Stunden tritt keine Sporulation auf. Wird die Grenze von vier Stunden überschritten, findet Sporulation statt und der Sporangienrasen ist auf der Blattunterseite zu erkennen. Je höher die Temperatur in den ersten vier Stunden mit Blattnässe ist, desto mehr Sporangien werden gebildet.

Zu einer Infektion benachbarter Blätter kommt es jedoch nur, wenn auch in der nachfolgenden Zeitspanne bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Weiter anhaltende Blattnässe von mindestens fünf Stunden und gleichzeitig eine Temperatursumme von 50 Gradstunden sind zusammen mit tropfbar flüssigem Wasser Voraussetzung für die Verfrachtung der Sporangien auf andere Blätter. Die daraus entlassenen Zoosporen haben nur eine kurze Lebensdauer. Wenn nicht innerhalb weniger Stunden eine Infektion gesetzt werden kann (Abwerfen der Geißeln; Bildung einer Keimhyphe), stellen die empfindlichen Zoosporen ihre Schwimmbewegung ein und sterben ab.

Das Ende der Inkubationszeit zeigt sich am Auftreten eines Ölflecks, der typischen Läsion nach einer Peronospora-Infektion. Die Inkubationszeit ist ebenfalls temperaturabhängig und liegt bei (hoch)sommerlichen Bedingungen zwischen einer und zwei Wochen.

Im Gegensatz zu bodenbürtigen Infektionen breiten sich Sekundärinfektionen relativ kleinräumig aus, da weder Sporangien noch entlassene Zoosporen vom Blatt oder Geschein über größere Distanzen verfrachtet werden können. Großflächige (Erst-)Infektionen ganzer Weinberge gehen demzufolge in aller Regel vom Boden aus – ein Indiz für die Gefährlichkeit oder "Virulenz" bodenbürtiger Infektionen.

Implementierung in die agrarmeteorologische Beratungssoftware

Alle neuen Submodelle und Indices wurden für die Nutzung in der Beratungsroutine in das Softwarepaket (AMBER) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) aufgenommen. Der Kern des Programmpaketes besteht aus einer Verzahnung agrarmeteorologischer Modelle mit bodenphysikalischen, bestandsklimatologischen, phytopathologischen sowie weiteren Inhalten. Vorgeschaltet sind Routinen zur Dateneinsteuerung (meteorologischen Mess- und Vorhersagedaten, phänologische Daten, Bestandsdaten). Insgesamt werden über 200 agrarmeteorologische Parameter für mehrtägige Vorhersagezeiträume bereitgestellt.

Fungizid-Behandlungen können so an den individuell herrschenden Befallsdruck angepasst werden. Die Peronospora-Kalamität im Jahr 2016 hat gezeigt, wie hilfreich insbesondere die exakte Vorhersage der zahlreichen bodenbürtigen Infektionen und auch die Darstellung der starken Überlappung von Inkubationszeiten als Entscheidungshilfe in der Rebschutzpraxis war.

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