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Pflanzenschutz im Wandel

Chemischer Pflanzenschutz hat in den vergangenen Jahrzehnten steigende Erträge abgesichert. Doch Resistenzen von Schadorganismen und fehlende Zulassungen bewirken einen Wandel.

Fehlende Innovationen im chemischen Pflanzenschutz führen zu einem erhöhten Resistenzdruck.
Bild: CEA+

In Zukunft werden der biologische Pflanzenschutz, aber auch klassische ackerbauliche Instrumente sowie die Züchtung an Bedeutung gewinnen.

Und das mit gutem Grund: Unter Fungiziden, Insektiziden sowie Herbiziden bleibt die Zahl der Wirkmechanismen und damit die Zahl der Wirkungsgruppen überschaubar. Forschung und Entwicklung von Herbiziden spüren schon seit vielen Jahren keine zusätzlichen Zielorte in Unkrautpflanzen auf. Alle in den letzten Jahrzehnten eingeführten Getreideherbizide stammen aus bereits bekannten Wirkungsgruppen.

Umdenken ist gefragt

Ein Innovationsschub, der Stoffe mit neuen Wirkmechanismen bereithält, steht nicht bevor. Wie etwa bei fungiziden Carboxamiden werden zwar neue Wirkstoffe innerhalb bekannter Wirkungsgruppen gefunden. Allerdings verlieren bewährte Mittel und Verfahren, wie schon die neonicotinoiden Beizen im Raps, ihre Zulassung. Darüber hinaus entwickeln Schadorganismen immer häufiger Resistenzen, die sich in intensiv geführten Ackerbauregionen schnell verbreiten. In dieser Situation ist die Landwirtschaft gefragt, pflanzenbauliche und phytosanitäre Schaltstellen zu überdenken; auch mit dem Ziel, eine Bandbreite wirkungsvoller chemischer Pflanzenschutzmittel für die Zukunft zu erhalten.

Resistenzbildung vermeiden

Populationen von Pflanzen oder tierischen Schaderregern sind in der Lage, sich im Laufe von Genrationen an neue Umweltbedingungen anzupassen. Regelmäßig überstehen einzelne Organismen eine chemische Behandlung und geben ihre Erbinformationen weiter. Resistenzen liegen so zunächst als natürliche und vererbbare Fähigkeit einzelner Individuen einer Schaderregerpopulation vor. Wiederholen sich Umweltbedingungen, wie durch den Einsatz gleicher Wirkstoffe, werden Individuen mit resistenten Eigenschaften selektiert. In der Folge setzen sie die Empfindlichkeit ganzer Populationen gegenüber dem jeweiligen eingesetzten Mittel mehr und mehr herab.

Resistenzbildung ist damit eine natürliche Antwort auf eine veränderte Umwelt. Mittlerweile haben sich in Deutschland sehr viele unterschiedliche Resistenzen gegenüber Herbiziden, Fungiziden und auch Insektiziden entwickelt.

Zulassungssituation – damals und heute

Mit der Verordnung EG 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln ist die EU im Jahr 2009 vom Prinzip der risikobegründeten Zulassung zu einer gefahrenbezogenen Beurteilung von Pflanzenschutzmitteln übergegangen. Bewertet wurde demnach das Gefährdungspotenzial des reinen Wirkstoffs. Anwendungstypische Begleitumstände wie Formulierung, Konzentration oder Anwendungsauflagen traten in den Hintergrund. Außerdem gelten sogenannte Cut-off- Kriterien, das heißt Ausschlusskriterien: Wirkstoffe, die entweder giftig sind, sich in der Umwelt anreichern oder sich negativ auf den Hormonhaushalt auswirken, finden keinen Platz mehr auf der Annex-1-Listung für eine EU-Genehmigung. Sie werden also entweder gestrichen oder bei erneuter Prüfung nicht mehr aufgenommen. Diese neue Regelung war besonders im Hinblick auf hormonell wirksame Substanzen, kurz ED (Endokrine Disruptoren), stark umstritten.

Außerdem sollen nach Vorgabe der Verordnung Wirkstoffe mit schädlichen Eigenschaften ersetzt werden. Und zwar dann, wenn andere Produkte oder Wirkstoffe von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) günstiger beurteilt werden. Die so ermittelten Kandidaten für eine Substitution verschwinden vom Markt, werden nur verkürzt zugelassen oder erhalten Auflagen für ihre Anwendung. Dieses Verfahren betraf Altwirkstoffe wie zum Beispiel die Fungizid-Gruppe der Azole und auch wichtige Herbizide. Somit sind für Landwirtinnen und Landwirte viele der sonst selbstverständlich eingesetzten Mittel nicht mehr verfügbar. Langfristige Lösungen sind damit gefragter denn je.

Auch heute wird das Thema Pflanzenschutz stark diskutiert. So wird in der im Oktober 2020 beschlossenen „Farm-to-Fork“-Strategie der EU-Kommission das Ziel vorgegeben, die Verwendung und das Risiko von Pflanzenschutzmitteln bis zum Jahr 2030 zu halbieren. Dieses Vorhaben wurde im Sommer 2022 nochmal konkreter, als die Kommission den Entwurf einer Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln veröffentlicht: die „Sustainable Use Regulation“ (SUR). 

Mittel richtig einsetzen

Resistenzen werden immer durch Selektionsdruck ausgelöst, also durch wiederholten Einsatz von Mitteln gleicher Wirkmechanismen. Dem gilt es in der pflanzenbaulichen Praxis, mit einem Bündel von Maßnahmen entgegenzuwirken:

Das heißt vor allem, unterschiedliche Wirkungsgruppen soweit verfügbar abzuwechseln und mögliche Fehlerquellen bei der Applikation, konsequent im Auge zu behalten. Um möglichst viele Schaderreger auszuschalten, hat die Wirksamkeit einer Maßnahme absoluten Vorrang. Wirkstoff- und Wassermenge sind an der Bestandsentwicklung und den Umweltfaktoren auszurichten.

Wenn es um pilzliche Schaderreger geht, sind Wirkstoffwahl, Aufwandmenge und Applikationszeitpunkt wichtige Steuergrößen. Gerade bei anfälligen Sorten im Anbau, kommt es darauf an, die bekämpfbaren Stadien des Pilzzyklus zu treffen. Hier unterstützen Prognosemodelle für die Region die eigenen Erfahrungswerte und Bestandsbeobachtungen. Aktive Feldkontrolle und erregerspezifische Mittelwahl entscheiden über den Bekämpfungserfolg. Zu späte, rein kurative Maßnahmen erhöhen den Selektionsdruck. Resistente Mutanten setzen sich in den Erregerpopulationen umso schneller durch. 

Pflanzenschutz wird ganzheitlich

Doch mit der Resistenzvermeidung ist es nicht getan: Die Praxis ist gefordert nachhaltige, betriebs- und standortspezifische Wege zu gehen. Eine Reihe klassischer ackerbaulicher Instrumente für das Gesundheitsmanagement auf dem Acker bieten sich an. Resistente und unempfindliche Sorten sind ein bewährtes Mittel, um Pflanzenkrankheiten zu begegnen. Erweiterte Fruchtfolgen, Sommerungen, Stoppelbearbeitung, biologische Bodenaktivität, Zwischenfrüchte, Saatzeitpunkt, Wachstumsregler und Düngestrategien liefern ein breites Spektrum möglicher Stellschrauben. Digitale Helfer unterstützen dabei, pflanzenbauliche Maßnahmen besser zu verzahnen.

Auch der biologischer Pflanzenschutz trägt in Zukunft stärker zum Gesundheitsmanagement auf dem Acker bei. Entwicklung und Forschung sind weniger kostenaufwändig als im chemischen Pflanzenschutz. Und die Chancen für eine Zulassung von Biologicals für den europäischen Markt stehen ungleich besser. Biologische Fungizide und Insektizide, biologische und physikalische Saatgutbehandlung sowie biologische Hilfsmittel, um die Nährstoffaufnahme anzuregen, halten Einzug in die pflanzenbauliche Praxis. Für die Unkrautkontrolle kommen außerdem zunehmend mechanische Verfahren auf den Acker.

Letzte Änderung dieser Seite am 08.08.2023