Wir verwenden Cookies, um Ihnen die optimale Nutzung unserer Webseite zu ermöglichen. Es werden für den Betrieb der Seite nur notwendige Cookies gesetzt. Details in unserer Datenschutzerklärung.
Hagel ist ein regionales Ereignis, das sich kleinflächig auswirken kann - im Gegensatz zu Temperatur- und CO2- Anstieg als großflächige Folgen des rezenten Klimawandels. Für 2023 meldete die Hagelgilde das höchste Schadensjahr in ihrer Geschichte: Über alle landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Kulturen hinweg mit fast fünf Millionen Euro für 334 gemeldete Schäden auf den Flächen der bei ihr versicherten Mitglieder (Hagelgilde, 2024). Für die Zukunft sagen internationale Modelle weniger, aber heftigere Hagelereignisse voraus (Renate Eil, 2024).
Dr. Michael Blanke, Obstbauforscher vom INRES Gartenbauwissenschaft der Universität Bonn, gibt einen Überblick, welchen Einfluss Hagelnetze haben und wie sie das Mikroklima im Obstbestand verändern können.
Hagel entsteht, wenn Wasser in Ambosswolken (Kumulonimbus) in der untersten Luftschicht (der Troposphäre) zu Eis kristallisiert. Einzelne Eiskristalle beziehungsweise Hagelkörner können bis zu zehn Zentimeter groß werden, bei uns erreichen die meisten Hagelkörner eine Größe von etwa fünf bis zwölf Millimeter. Damit bestimmen sie die Konstruktion der Hagelnetze bei uns (Blanke, 2008) und sind für die Art der Schäden an den Pflanzen verantwortlich.
Hagel kann erheblichen Schaden an landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Kulturen verursachen. Nicht nur Obstbaum- und Rebbestände, sondern auch Getreide, Raps und Feldfrüchte wie Mais, Kartoffeln, Rüben oder Sojabohnen können durch Hagelschlag schwer beschädigt werden.
Hagelkörner verursachen meistens einen Riss in der Blattspreite, also kleine „Löcher“. Dieser Riss in der Blattspreite verursacht einen Wasserverlust (Evapotranspiration) an den Wundstellen und wirkt sich sofort auf die Spaltöffnungen aus. Dadurch fallen stomatäre Transpiration und Fotosyntheseleistung ab, sie erholen sich jedoch innerhalb von etwa drei Stunden, wenn die Wundheilung an den Rissen eintritt (Tartachnyk und Blanke, 2002).
Die Hagelschäden an Früchten und Blättern mindern die Qualität und können einen erheblichen Wertverlust verursachen. Neben Hagelfliegern, Hagelkanonen und Hagelversicherung leisten Hagelnetze einen wesentlichen Beitrag, um Hagelschäden zu minimieren und sind das Mittel der Wahl im Obstbau.
Sie werden zur Blüte im April aufgespannt und werden zur Ernte wieder aufgerollt. Zum Schutz vor UV-Strahlung werden die Hagelnetze im Winter zusammengerollt und oft zusätzlich mit schwarzer Folie abgedeckt.
Die Wirkung von Hagelnetzen ist nicht ein Auffangen, sondern ein Ableiten der Hagelkörner in den Grasstreifen der Fahrgasse zwischen den Baumreihen. Daher sind die Netzbahnen etwas breiter als der Reihenabstand der Obst- oder Rebkultur. Sie werden straff und im schrägen Winkel nach unten verspannt, um eine Taschenbildung zu vermeiden.
Auch wenn Hagelnetze generell einen guten Schutz vor Hagel bieten, kann es zur Überlastung beispielsweise bei großen Hagelkörnern und Schneefall, gefolgt von Regen, kommen: Der Schnee auf den verspannten Hagelnetzen kann sich wie ein Schwamm mit Regen vollsaugen und zum Zusammenbruch der Anlage führen, was einen Totalschaden bedeutet. Dies kann nicht nur im Herbst auftreten, wenn es unerwartet früh schneit oder die Hagelnetze im Herbst zu spät aufgerollt werden, sondern auch im Frühjahr, wenn sie als Frostschutz verspannt werden.
Hagelnetze bestehen meist aus 0,32 bis 0,34 Millimeter starken HD-PE (High Density Polyethylen) Kunststofffäden mit Maschenweiten zwischen 3 x 7 Millimeter bis 3 x 9 Millimeter. Der Längsfaden (längs zur Baumreihe) ist oft doppelt und in sich verschlungen. Der Querfaden (quer zur Baumreihe) ist einfach. Der einfache Querfaden übernimmt die Rolle einer Sollbruchstelle, die verhindern soll, dass die ganze Konstruktion bei Überlastung zusammenbricht.
Maschenweite und Lichtdurchlässigkeit der Fäden beeinflussen die verfügbare Lichtmenge für die Obst- und Rebkultur. In unseren Breitengraden ist Licht der begrenzende Faktor für das Wachstum. Umso mehr Licht von den Netzen durchgelassen wird, desto mehr Licht steht für Fotosynthese und Wachstum zur Verfügung. Bei der Lichtdurchlässigkeit wird zwischen fotosynthetisch aktiver Strahlung (PAR) für Fotosynthese und Wachstum sowie UVB-Strahlung für die Rotfärbung der Früchte unterschieden. Die Lichtdurchlässigkeit variiert von 78 Prozent PAR-Strahlung für schwarze Hagelnetze bis zu 92 Prozent PAR für Kristallnetze (Protze et al., 2012).
Anhand der Hagelnetzstruktur kann die geometrische Lichtdurchlässigkeit im Voraus berechnet werden, ohne die Lichtdurchlässigkeit im Feld (oder im Labor) messen zu müssen (Blanke, 2007). Dazu wird die Größe des Lichtfensters durch die Maschenfläche geteilt. Dabei entspricht die Größe des Lichtfensters der Maschenfläche abzüglich der Fadenstärke unabhängig von Netztyp und Wellenlänge.
Der Lichtverlust durch Hagelnetze kann in unseren Breiten so stark sein, dass Apfelbäume sogenannte Schattenblätter mit verringerter Blattdicke und weniger Palisadenzellen bilden, um den Lichtverlust teilweise zu kompensieren. Gleichzeitig bilden die Bäume lange Triebe, die dem Licht entgegenwachsen, die sogenannte Schattenflucht oder auch Shade avoidance syndrome (Solomakhin & Blanke, 2010).
Der Lichtverlust kann zu einer verminderten Blüteninduktion und geringerem Fruchtansatz führen. Somit kann die Alternanz, der Wechsel von ertragsreichen und ertragsarmen Jahren gefördert werden (Wehrle et al., 2018). Als Folge des Lichtverlustes sinken die Fotosyntheseleistung und Transpiration unter Hagelnetzen und die Ausfärbung der Früchte.
Vor allem die vom Konsumenten und Handel geforderte rote Farbausprägung der Früchte kann unter Hagelnetzen stark reduziert sein. Durch geeignete Pflegemaßnahmen kann der Lichtverlust reduziert werden. Beispiele dafür sind:
Die Niederschlagsmenge verschiebt sich in vielen Obstbauregionen um etwa 30 Millimeter vom Sommer in die Wintermonate (Kunz und Blanke, 2022). Dennoch verfügen die meisten Anbauregionen im Jahresmittel über ausreichend Niederschläge. Die Niederschläge werden zu bestimmten Zeiten benötigt: zur Frostschutzberegnung im April und zur Transpirationskühlung oder auch zur Beregnung in Trockenphasen von Juni bis August. Daher besteht ein Bedarf an Wasserspeichern beziehungsweise am Bau von Wasserreservoirs.
Gegenüber dem Freiland sind die Temperaturen unter Hagelnetzen je nach Netztyp etwa bis zu 3,2 Grad Celsius kühler, da die direkte Sonneneinstrahlung reduziert wird (Solomahkin & Blanke, 2010; Szabó et al., 2021). Dadurch wird Hitzestress bei den Bäumen verringert und das Risiko für Sonnenbrand bei den Früchten sinkt. Darüber hinaus erhöhen die Hagelnetze die Luftfeuchtigkeit in der Obstanlage um drei bis fünf Prozent. Die Netze wirken als Barriere, sodass es im Bestand weniger Windbewegung gibt. Dies führt zu weniger Verdunstung beziehungsweise Evapotranspiration und damit zu einer Wasserersparnis, da die Wasserverfügbarkeit durch die erhöhte Luftfeuchtigkeit steigt.
Hagelnetze sind im Winter meist aufgerollt. Werden sie aufgespannt, können sie auch in Wintermonaten ohne Schnee die Temperatur im darunterliegenden Bestand reduzieren. Dies ist in Gebieten und Jahren beziehungsweise bei Obstbäumen und Weinreben mit ungenügendem Kältereiz im Winter (Chilling) interessant. Vor allem dunkle Hagelnetze können dann dazu beitragen, die Temperatur zu senken. Erste Versuche in Chile zeigten an Wintertagen mit direkter Sonneneinstrahlung eine Kühlung von bis zu vier Grad Celsius (Pinto, 2024). Somit könnten Hagelnetze insbesondere in milden Wintern helfen, den für die Obstbaumdormanz nötigen Kältereiz zu erreichen und so eine gute Blütenbildung im nächsten Frühjahr zu ermöglichen.
Neben der Primärwirkung gegen Hageleinschlag bieten Hagelnetze noch eine Reihe weiterer Vorteile: Sie schützen die Obstkulturen vor Vogelfraß und bei Volleinnetzung gegen die Verbreitung von Schädlingen von außen sowie die Früchte vor Sonnenbrand.
Übersicht Wirkungen von Hagelnetzen am Beispiel Apfel
Mikroklima | Blüten- und Fruchtansatz | Fruchtqualität | Schädlinge |
---|---|---|---|
Schattierung / Lichtverlust | Verstärktes vegetatives Wachstum | Grünere Grundfarbe | Mehr Blattläuse |
Chilling im Winter | Geringere Blüteninduktion | Weniger Deckfarbe | Mehr Apfelschorf |
Rund sechs Prozent höhere Luftfeuchtigkeit | Geringerer Fruchtansatz | Kaum Sonnenbrand | Mehr rote Spinne |
Weniger Windbewegung | Stärkerer Junifall | Kein Hagelschaden | Vogelschutz |
Wasserersparnis | Kleinere Ernte | Etwas weniger Zucker | |
Größere Früchte | Geringere Berostung der Früchte |
Hagel stellt ein bedeutendes regionales Risiko für die Landwirtschaft dar, insbesondere im Hinblick auf die wachsenden Schäden durch intensivere Hagelereignisse. Im Jahr 2023 verzeichnete die Hagelgilde Rekordverluste von fast fünf Millionen Euro, was die Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen verdeutlicht.
Hagelnetze bringen zahlreiche Nachteile mit sich wie hohe Kosten für den Anbauer, einen hohen Arbeitsaufwand beim Aufspannen und Aufrollen von Hand, Schattierung, ungebremstes Triebwachstum und schlechte Ausfärbung der Früchte. Dem gegenüber stehen der Schutz vor Vogelfraß und Sonnenbrand sowie die Wasserersparnis. Technik und Forschung sind daher bemüht, ein System zu entwickeln, dass nur bei drohenden Hagelwolken kurzfristig und möglichst mechanisch oder teil-mechanisch geschlossen werden kann.
Letzte Aktualisierung 28.10.2024