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Agri-Photovoltaik-Systeme und deren Potenzial zur Förderung der funktionellen Biodiversität Funktionelle Biodiversität fördern

Agri-Photovoltaik ermöglicht die gleichzeitige Nutzung von Flächen für Landwirtschaft und Energiegewinnung. Durch eine ökologische Gestaltung können darüber hinaus Biodiversität und somit Ökosystemleistungen wie Bestäubung und Schädlingsregulierung gefördert werden.

Beitrag von Photovoltaik zur Erreichung der Klimaneutralität

Um den Klimawandel nicht weiter voranzutreiben, wird der Ausbau erneuerbarer Energien zunehmen müssen. Die Photovoltaik (PV) ist hierbei ein wesentlicher Baustein. In der ersten Hälfte des Jahres 2024 erzielte diese knapp 15 % der Stromerzeugung in Deutschland. Allerdings können durch die Überbauung landwirtschaftlicher Fläche mit PV-Modulen Landnutzungskonflikte entstehen, durch die direkte Konkurrenz zum Pflanzenbau insbesondere bei ertragsreichem Boden, aber auch bei der Nutzung von Minderertragsstandorten aufgrund von umwelt- und naturschutzrelevanten Aspekten.

Agri-Photovoltaik entschärft Flächenkonkurrenz

Hochaufgeständertes APV-System über Wein in Munzingen in Baden-Württemberg (realisiert durch Gsun GmbH) mit Spontanvegetation im Vordergrund.
Bild: K. Lemanski, JKI-BI Dossenheim

Zur Entschärfung dieses Konfliktes könnte die Agri-Photovoltaik (APV) beitragen. Das Konzept der APV sieht eine gleichzeitige Nutzung von Flächen zur Energiegewinnung und zum Betreiben von Landwirtschaft vor. Die PV-Module werden entweder erhöht über der Kultur selbst oder vertikal neben der Kultur installiert, sodass die Fläche unter oder zwischen den Modulen weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden kann.

Die hochaufgeständerten APV-Anlagen sind von der Bauart divers. Die Umsetzungen variieren beispielsweise in der Höhe (mindestens 2,10 m), der Lichtdurchlässigkeit der Module, der Unterkonstruktion und den Möglichkeiten der Steuerungen, wie beispielsweise die der Sonne nachgeführten Module. Die Module bieten zusätzlich einen Schutz der Kultur beispielsweise vor Sonnenbrand, Hagel und Frost.

Blühstreifen unter Modulen in einer vertikalen APV-Anlage in Wellingen im Saarland (von Next2Sun).
Bild: K. Lemanski, JKI-BI Dossenheim

Bei den bodennahen vertikalen APV-Anlagen sind die Module in einer Höhe von etwa 1 m senkrecht zum Boden errichtet. Die zwischen den Modulreihen befindlichen Abstände sind variabel und richten sich nach der Arbeitsbreite der genutzten landwirtschaftlichen Maschinen, sollten jedoch mindestens 9 m betragen, um eine gegenseitige Verschattung zu vermeiden.

Von beiden APV-Kategorien bestehen bereits Forschungs- und Praxisanlagen in Deutschland in verschiedenen Kulturen, darunter Acker- und Grünland sowie Obst- und Weinbau. Wichtig zu beachten ist, dass die verschiedenen APV-Systeme sich noch in einer dynamischen Entwicklung befinden und eine Pauschalisierung von Anlagen und Effekten zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu treffen ist.

Denkbare Auswirkungen auf die funktionelle Biodiversität

Es gibt noch viele Wissenslücken bezüglich der Auswirkung von APV-Systemen, beispielsweise auch auf das Vorkommen von Tier- und Pflanzenarten. Es stellen sich die Fragen, wie Organismen auf die Verschattung durch die Module und auf indirekt beeinflusste Faktoren wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit reagieren. Dies kann auch die Interaktion zwischen Kulturpflanze und Schaderreger beziehungsweise wichtigen Ökosystemleistungen wie biologische Regulierung und Bestäubung beeinflussen.

Forschende der Oregon State University zeigten in den USA, dass das Blütenvorkommen im Halbschatten von PV-Modulen zunahm und der Blühbeginn im Vergleich zu Sonnenstandorten zeitlich verzögert war. Anzahl und Vielfalt von Insekten in Sonne und Halbschatten war ähnlich und höher als im Vollschatten der Module. Demnach hat vor allem der Grad der Verschattung Einfluss auf Pflanzen und Tiere, die Module an sich haben aber keine eindeutig abschreckende oder anziehende Wirkung. Dies ist relevant, da der direkte Effekt von PV-Modulen auf Insekten noch nicht vollständig geklärt ist. So wurde gezeigt, dass einige aquatische Insekten PV-Module für Wasserkörper halten und dort fälschlicherweise ihre Eier ablegen, vermutlich aufgrund des polarisierten, reflektierten Lichts. Genauso könnten auch andere Insekten durch Reflexion, Farbe, Wärme oder andere Materialeigenschaften der PV-Module angezogen oder auch abgeschreckt werden. Diese Fragen können nicht pauschal beantwortet werden, sondern es muss auf spezifische APV-Systeme und Arten oder Artengruppen eingegangen werden. Dies betrifft auch die Interaktionen von Schaderregern mit den Kulturpflanzen, aber auch ihren Gegenspielern.

Bedeutung der funktionellen Biodiversität für APV-Systeme

Schwebfliege vor vertikaler APV-Anlage in Wellingen im Saarland (von Next2Sun).
Bild: K. Lemanski, JKI-BI Dossenheim

Der Verlust von Vielfalt und Häufigkeit von Arten auf globaler, aber auch auf Bundesebene ist belegt und vor allem in der Agrarlandschaft deutlich (Hallmann et al., 2017; Seibold et al., 2019). In der Landwirtschaft kann ein direkter Zusammenhang von Bestäubern und Nützlingen zu Ökosystemleistungen hergestellt werden. Beispielsweise können Nützlinge wie Schwebfliegen oder Schlupf- und Grabwespen helfen, Schädlinge wie Blattläuse zu regulieren. Diese Gegenspieler können durch verschiedene Maßnahmen gefördert werden, sodass ihr Beitrag zur Reduzierung von pflanzenbaulichen Schädlingen erhöht werden kann. Sie dürfen bei der Planung einer APV-Anlage nicht vergessen werden, denn sie bilden die Basis des integrierten Pflanzenschutzes.

Durch eine ökologisch sinnvolle Gestaltung von APV-Anlagen können neue Strukturen in der Kulturlandschaft geschaffen werden, die die funktionelle Biodiversität und damit einhergehende Ökosystemleistungen fördern. Hierbei sollte der Mehrwert für die Landwirtschaft durch Bestäubung und Schädlingsregulierung besondere Bedeutung finden.

Übertragung bekannter biodiversitätsfördernder Maßnahmen auf APV-Anlagen

Zur Förderung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft und auch in PV-Freiflächenanlagen (PV-FFA) gibt es bereits viele und gute Ansätze. Diese können mit leichten Anpassungen an das jeweilige APV-System beziehungsweise die Kultur übernommen werden. Ein Beispiel ist die Umzäunung in naturverträglichen Solarparks. Es wird empfohlen, den umgebenden Zaun der Anlage mit einem Mindestabstand von 15 - 20 cm zum Boden zu installieren, um kleineren Tieren ein Durchkommen zu ermöglichen und so eine Barrierefunktion zu vermeiden. 

Nistkasten in einem hochaufgeständerten APV-System über Apfel auf dem Bioobsthof Nachtwey in Gelsdorf (Rheinland Pfalz).
Bild: K. Lemanski, JKI-BI Dossenheim

Weitere Beispiele für Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität sind das Anbringen von Nisthilfen in den Strukturen der APV-Systeme, das Etablieren von Blühsträuchern an den Enden der Modulreihen, das Anlegen von Sandstreifen, Lesestein-, Totholz- oder Reisighaufen. Biodiversitätsfördernde Maßnahmen bieten sich auf Flächen an, die aufgrund von APV-Systemen landwirtschaftlich nicht ertragsorientiert genutzt werden können. Dazu gehören beispielsweise Flächen unter vertikalen Modulen oder in der Nähe von Abspannseilen, wenn solche vorhanden sind.

Neben dem Anlegen von Strukturen wird in PV-FFA auch die extensive Pflege empfohlen. Eine Begrünung mit standortangepassten Pflanzen kann Insekten und (Greif-) Vögel fördern, aber auch die Akzeptanz der Bevölkerung durch die Integration ins Landschaftsbild. Dies gilt auch für APV-Systeme. Bei allen Maßnahmen ist die Beschattung der Module und Kultur durch Vegetation und Strukturen zu beachten.

Ein Beispiel: Blühstreifen in APV-Systemen

Eine anerkannte Methode zur Förderung von Biodiversität in der Agrarlandschaft ist das Anlegen von Blühstreifen. Bei den vertikalen APV-Systemen gibt es unter den Modulen einen landwirtschaftlich nicht nutzbaren Streifen. Dieser kann zur Anlage eines mehrjährigen Blühstreifens genutzt werden. So können nützliche Insekten gefördert werden und es wird ein langfristiger Effekt über das gesamte Feld erzielt.

Im Rahmen der ineinandergreifenden Projekte „Solarnützlinge“ und „VAckerBio 2“ wurde im Frühjahr 2023 vom Julius Kühn-Institut auf einer vertikalen APV-Anlage (von Next2Sun) mit ackerbaulichen Kulturen in Wellingen (Saarland) ein Blühstreifen unter einem Teilbereich der Module etabliert. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Insektenbiomasse in Gelbschalenfängen im APV-Bereich mit Blühstreifen höher ist als in der APV-Fläche ohne Blühstreifen und ebenfalls höher als in der angrenzenden Referenzfläche ohne APV. Eine genauere Auswertung über mehrere Jahre steht noch aus. Aus den Daten lässt sich dennoch ableiten, dass eine durch Blühstreifen ökologisch aufgewertete vertikale APV-Anlage mehr Insekten beherbergt als eine reine Agrarfläche.

Aufgrund der geringen Breite der Blühstreifen sind sie von Maßnahmen der Kulturpflanzenerzeugung betroffen, da Randeffekte nicht vermieden werden können. Im ungünstigsten Fall könnten Blühstreifen als „ökologische Falle“ fungieren, indem Nützlinge und weitere Arthropoden von diesen angelockt, dann aber durch Abdrift von Pflanzenschutzmittel negativ beeinträchtigt werden. Zudem muss geklärt werden, ob eingebrachte Düngemittel auf der Ackerfläche Blühstreifen zu wüchsig werden lassen, denn eine Verschattung der Module muss vermieden werden. Aus diesen Gründen ist denkbar, ganze Modulreihen aus der Bewirtschaftung zu nehmen, um breite Blühstreifen anzulegen, deren Pflege leichter umzusetzen wäre.

Schlussfolgerungen

Die Vielfalt der APV-Systeme spiegelt die rasante Weiterentwicklung in diesem Sektor wieder. Themenschwerpunkte sind sicherlich die optimale Energiegewinnung, die Weiterentwicklung der Unterkonstruktionen und der landwirtschaftliche Ertrag in diesen Systemen. Hierbei sollte die Förderung der funktionellen Biodiversität bereits in dieser Entwicklungsphase mitgedacht werden. Jede Fläche, die nicht ertragsorientiert bewirtschaftet wird, sei es durch APV-Strukturen oder aus anderen Gründen, kann bei entsprechender Gestaltung zu der Erhöhung der Artenvielfalt und Ökosystemleistungen beitragen. Es besteht allerdings noch hoher Forschungsbedarf, beispielsweise bezüglich der Frage, wie in APV-Systemen die Kulturpflanzenproduktion angepasst werden kann, damit sie optimal von einer höheren Biodiversität profitiert.

Projektlogo des Projekts Solarnützlinge

Das Projekt Solarnützlinge wird im Rahmen des Klimaschutz-Sofortprogramms 2022 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft finanziert – RessortForschtKlima. Dieses Projekt wird vom Julius Kühn-Institut - Institut für Biologischen Pflanzenschutz durchgeführt.

Das Projekt VAckerBio 2 wird gefördert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Projektpartner: Fraunhofer Institut ISE (Freiburg), Next2Sun, Universität Hohenheim (Stuttgart), Julius Kühn-Institut - Institut für Biologischen Pflanzenschutz.

Letzte Aktualisierung 02.10.2024

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