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Auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben ist die Situation extrem angespannt. Anhaltend schlechte Preise, steigende Kosten und hohe Schuldenlasten führen dazu, dass Betriebe in die wirtschaftliche Schieflage geraten. Außerdem nehmen die bürokratischen und gesellschaftlichen Anforderungen weiter zu. Hinzu kommt ein extrem hohes Arbeitspensum mit wenig Freizeit. Solche Belastungen können, wenn sie länger anhalten, zu einem Burnout-Syndrom führen.
Das Burnout-Syndrom ist ein Zustand ausgeprägter Erschöpfung. Betroffene fühlen sich regelrecht ausgebrannt – daher auch der englische Name. Burnout kann ein Vorläufer von Depressionen sein.
Zuerst wurde dieses Phänomen bei Menschen in Pflege- und Heilberufen wahrgenommen. Man führte das von den Betroffenen als „ausgebrannt“ beschriebene Gefühl zunächst auf einen zu hohen Arbeitseinsatz zurück. Als auslösende Faktoren werden zwar hauptsächlich solche genannt, die sich auf den Arbeitsplatz beziehen. Belastungsstörungen, die zum Burnout führen, treten aber auch im Privatleben auf – beispielsweise bei Menschen, die Angehörige pflegen.
Angaben der landwirtschaftlichen Sozialversicherung SVLFG zufolge, litten im Jahr 2017 17 Prozent aller landwirtschaftlich Erwerbstätigen, die sich krankmeldeten, an psychischen Erkrankungen. Psychischen Erkrankungen stehen damit, nach den Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, auf Platz zwei der Ursachenstatistik für Erwerbsminderung. Zum Vergleich: 2007 lag der Anteil der psychischen Erkrankungen noch bei 10 Prozent.
Wie viele Landwirtinnen und Landwirten an psychischen Krankheiten leiden, ist noch nicht genauer bekannt – die Dunkelziffer aber wahrscheinlich hoch. In Deutschland gibt es bislang keine empirischen Zahlen. Das Nachrichtenportal „agrarheute“ hat 2018 eine Umfrage unter mehr als 1.300 Landwirtinnen und Landwirten gestartet, die ergab, dass ein Viertel der Landwirtinnen und Landwirte Burnout-gefährdet sei.
Auch ein Blick ins Ausland gibt ein alarmierendes Bild. Studien zufolge sollen 58 Prozent der österreichischen Landwirte unter Burnout leiden. In Finnland finden sich Zahlen mit bis zu 45 Prozent Burnout-Betroffenen in der Landwirtschaft.
Sehr hoch ist auch die Suizidrate in der landwirtschaftlichen Bevölkerung. So schreiben englische Untersuchungen Landwirten inzwischen die zweithöchste Suizidrate zu. Eine französische Studie zeigt, dass die Selbstmordrate unter Landwirtinnen und Landwirten in Frankreich mindestens 20 Prozent höher ist als im Durchschnitt der Bevölkerung.
Im Gegensatz zur Depression gibt es keine international anerkannte Diagnose für Burnout. Unter einem Burnout versteht man einen Zustand großer Erschöpfung, verbunden mit innerer Unruhe, Schlafstörungen sowie einem Gefühl der Überforderung und gefühlsmäßiger Überlastung.
Von einer Depression spricht man, wenn für mindestens zwei Wochen unter anderem folgende Krankheitszeichen vorliegen: tiefe Freudlosigkeit, Schwunglosigkeit, gedrückte Stimmung, Schuldgefühle, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Hoffnungslosigkeit.
Teilweise werden die beiden Begriffe Burnout und Depression synonym verwendet, wobei der Begriff Burnout weniger stigmatisiert wird und sich viele mit diesem wohler fühlen. Jedoch ist der Weg zur Besserung des Zustands unterschiedlich. Bei einem Burnout kann es beispielsweise helfen, Urlaub zu machen oder beruflich kürzer zu treten. Bei einer schweren depressiven Erkrankung wird hingegen dringend davon abgeraten, in den Urlaub zu fahren und sein gewohntes Umfeld zu verlassen.
Bei anhaltendem Erschöpfungsgefühl und dem Verlust der Lebensfreude sollte man sich an den Hausarzt, Psychologen oder Psychiater wenden, um kompetente Hilfe zu erhalten.
Es gibt keine eindeutige Liste von Beschwerden, die auftreten müssen, damit man von Burnout sprechen kann. Man muss sich Burnout vielmehr als einen schleichenden Prozess vorstellen, der zu einer Depression führen kann.
Um den Verlauf und die Symptomatik des Burnouts besser nachvollziehen zu können, haben Forscherinnen und Forscher dieses Phänomen in verschiedene Phasen gegliedert. Je nach Modell gibt es unterschiedlich viele Phasen. Eines der bekanntesten und anschaulichsten ist das Burnout-Modell von Herbert Freudenberger und Gail North. Es unterteilt das Syndrom in 12 Phasen. Nicht alle Betroffenen durchlaufen jede dieser Phasen in derselben Reihenfolge. Phasen können auch übersprungen werden oder fließend ineinander übergehen.
12 Phasen des Burnouts |
Phase 1: Zwang sich zu beweisen |
Phase 2: Verstärkter Einsatz |
Phase 3: Subtile Vernachlässigung eigener Bedürfnisse |
Phase 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen |
Phase 5: Umdeutung von Werten |
Phase 6: Verleugnung entstehender Probleme |
Phase 7: Sozialer Rückzug |
Phase 8: Offensichtliche Verhaltensänderungen |
Phase 9: Depersonalisierung |
Phase 10: Innere Leere |
Phase 11: Depression |
Phase 12: Völlige Erschöpfung |
Die Agrarwissenschaftlerin Vanessa Hoffmann führte im Rahmen einer Bachelorarbeit 2016 Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern agrarsozialer Sicherungssysteme, der Wissenschaft und der landwirtschaftlichen Beratungspraxis durch. Die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Landwirtinnen und Landwirte wird als die häufigste Ursache für Burnout angeführt. Dabei führen niedrige Preise und hohe Schuldenlasten dazu, dass Betriebe in finanzielle Not geraten.
Aber auch die enge Verflechtung von Familie und Beruf wird häufig als Ursache genannt. Bei einem intakten familiären Zusammenhalt kann die Familie ein Rückhalt sein, um Krisen im Betrieb abzufedern. Bei familiären Problemen führt sie aber umgekehrt zu einer Doppelbelastung.
Als weitere wichtige Ursache nannten die Befragten das sich verschlechternde Ansehen der Landwirtinnen und Landwirte und deren Arbeit in der Gesellschaft – zum Beispiel im Zuge der Diskussion um Tierwohl, Antibiotika- und Pflanzenschutzmitteleinsatz. Vielen Landwirtinnen und Landwirten fehle eine positive Rückmeldung für ihre Arbeit als wichtiger Aspekt für ihre Arbeitszufriedenheit.
Je früher Betroffene erkennen, dass der Stress in ihrem Leben überhandnimmt, desto höher sind die Chancen, einen (schlimmeren) Burnout oder eine möglicherweise daraus resultierende Depression zu vermeiden. Bei jeglichem Verdacht auf eine Burnout-Dynamik sollten sich Betroffene unbedingt Hilfe von außen holen. Speziell für Landwirtinnen und Landwirte gibt es hier verschiedene Anlaufstellen, an die sie sich vertrauensvoll und teils auch anonym wenden können.
Beratungseinrichtungen und Sorgentelefone der Landwirtschaftlichen Familienberatungen (im Netzwerk der BAG Familie und Betrieb e. V., Übersicht nach Ländern)
24 Stunden-Krisenhotline der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG)
Infotelefon Depression der Deutschen Depressionshilfe
Beim Hausarzt Ihres Vertrauens
Rechtzeitig Hilfe zu suchen ist jedoch häufig ein Problem. Verschiedene Studien zeigen, dass Landwirtinnen und Landwirte in solchen Notsituationen sehr ungern professionelle Hilfe einholen. Hier spielt vor allem die innere Einstellung gegenüber psychischen Problemen eine Rolle. So sind Landwirtinnen und Landwirte häufig der Meinung, dass sie „solche“ Probleme selbst oder innerhalb der Familie lösen können oder haben Sorge über die Außenwirkung. Wenn überhaupt, wird häufig erst zu einem sehr späten Zeitpunkt reagiert.
Dabei sind psychische Krankheiten kein Zeichen einer Schwäche. Sie sind wie „körperliche“ Krankheiten heutzutage gut behandelbar. Hilfe zu holen und diese anzunehmen ist ein starker Schritt, der hoffentlich schnell wieder zu einem beschwerdefreieren und gesünderen Leben führt.
Letzte Aktualisierung 27.10.2023
37 Grad Reportage: Burnout auf dem Bauernhof
Burnout: Wer kann helfen? Vanessa Hoffmann in B&B Agrar 3/2020 (PDF)
Mit uns im Gleichgewicht - Angebot der SVLFG zur seelischen Gesundheit in grünen Berufen
Bundesarbeitsgemeinschaft Familie und Betrieb e. V.
Agrarpsychologie.de - Burnout in der Landwirtschaft. Universität Witzenhausen