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Züchtung auf der Überholspur? Neue und alte Methoden der Pflanzenzucht Pflanzenzüchtung

Immer mehr Forschungseinrichtungen und Unternehmen setzen auf die „Genschere“ und andere Neue Genomische Techniken (NGT) zur Beschleunigung der Pflanzenzüchtung. Die Hoffnung ist, dass die Anpassung von Kulturpflanzen so Schritt halten kann mit wachsenden, globalen Krisen wie Artensterben und Klimawandel. Doch was ist dran an der „Züchtung im Eiltempo“? Welche Vor- und Nachteile bringen NGT in der Praxis mit sich? Und wieso braucht es trotz aller Technologie noch konventionelle Verfahren wie die klassische Kreuzung?

Im Zuchtgarten selektieren Züchter Genotypen, die unter den standortspezifischen Umweltbedingungen gut gedeihen und die gewünschten Merkmale aufweisen.
Bild: Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG

Pflanzenzüchtung: Ein Blick in den Werkzeugkasten

Die unterschiedlichen Methoden der Pflanzenzucht sollen dazu beitragen, auch in Zeiten globaler Krisen eine produktive und umweltschonende Landwirtschaft zu ermöglichen. Von der herkömmlichen Kreuzbestäubung über die zufällige Mutagenese bis hin zur klassischen Gentechnik wurden die Methoden der Züchtung immer technischer und entfernten sich in Teilen von den Prinzipien der Kreuzung und Selektion. Gentechnische Verfahren erlauben es Forschenden, Artgrenzen zu überwinden und Pflanzensorten zu erschaffen, die in der Natur nicht vorkommen würden. Nun stehen unter dem Sammel-Akronym NGT abermals neue Werkzeuge zur Verfügung, die eine zielgenaue Bearbeitung des Pflanzenerbguts möglich machen – auch ohne das Einbringen fremden Genmaterials. Der Prozess der Züchtung könnte, so die Hoffnung der Befürworter, auf diese Weise eine Abkürzung nehmen, die das Warten auf eine zufallsbasierte Kombination gewünschter Merkmale umgeht.

Eine Abkürzung auf dem Weg zur neuen Sorte

Kontrollierte Kreuzung verschiedener Kandidaten-Genotypen im Zuchtgarten.
Bild: Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG

Am Anfang jeder Sortenentwicklung steht die Identifikation gewünschter Eigenschaften innerhalb der bestehenden Population (im sogenannten „Züchter-Genpool“). Mittels Kreuzung werden beispielsweise zwei Rapssorten kombiniert, wobei die erste Sorte zum Beispiel einen guten Ertrag aufweist und die zweite etwa eine gesteigerte Resistenz gegen pilzliche Erreger. Für die Kreuzung werden die weiblichen Blütenteile der ersten Sorte mit dem Pollen der zweiten Sorte bestäubt. Daraufhin wird nach der Fruchtreife das Saatgut der Mutterpflanze gewonnen und in der nächsten Generation ausgesät. Die Nachkommen, die als auch F1-Generation bezeichnet werden, durchlaufen nun eine Selektion auf die Ausprägung der gewünschten Merkmale, bis eine geeignete Linie gefunden ist und beim Bundessortenamt angemeldet werden kann.

Die konventionellen Methoden der Pflanzenzüchtung benötigen also mindestens einen sexuellen Vermehrungsschritt (bei dem durch Fremdbestäubung die Merkmale der Eltern neu kombiniert werden). Dies bedeutet auch, dass stets auf die Blüten- und Fruchtbildung gewartet werden muss, bevor Saatgut der neu entstandenen Sorte geerntet werden kann. Die neuartigen NGT überspringen diesen sexuellen Vermehrungsschritt: Durch eine gezielte Modifikation von Keimzellen entsteht schon im Labor eine neue Variante der zu bearbeitenden Pflanze, die ohne Bestäubung heranwächst und direkt ausgewertet werden kann. Diese Unabhängigkeit von der sexuellen Rekombination kann vor allem bei Kulturarten mit langen Generationszyklen – etwa bei Gehölzen – von Vorteil sein. Auch bei Nutzpflanzen mit komplexen (polyploiden) Genomen, in denen jedes Gen gleich in mehreren Varianten (Allelen) vorliegt, können NGT die Züchtung über den rein vegetativen Ansatz beschleunigen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Genetik der Zielpflanze ausreichend erforscht ist.

Limitierungen der beschleunigten Züchtung

Die Kreuzungszüchtung kann direkt mit zwei zu kombinierenden Elternlinien starten und die Nachkommenschaft wird selektiert.
Bild: Norddeutsche Pflanzenzucht Hans-Georg Lembke KG

Damit eine bestimmte Eigenschaft der Pflanze im Labor mittels NGT bearbeitet werden kann, muss eine präzise Kenntnis des Gesamt-Erbguts (Genom-Sequenzierung) zur Verfügung stehen. Eine entscheidende Hürde für die Anwendung der Genschere ist, dass das Genom vieler Nutzpflanzen noch nicht ausreichend erforscht ist. Zusammenhänge zwischen Genen und ihren jeweiligen Funktionen können oftmals nur durch Homologie (ähnliche Gensequenzen in verwandten Kulturarten) vermutet werden. Daher ist die Phase der Forschung und Entwicklung für die Sortenzüchtung im Labor entscheidend für den tatsächlichen Schnelligkeitsvorteil. Im Vergleich dazu kann bei der Kreuzungszüchtung direkt mit zwei zu kombinierenden Elternlinien gestartet werden. Eine weitere Herausforderung bei der Anwendung von NGT ist das Einschleusen der molekularen Schere in den Zielorganismus, das längst nicht für alle Pflanzenarten etabliert ist. Diese technologischen Grenzen gehören laut einer aktuellen Übersichtsstudie zu den wichtigsten Unsicherheiten im Umgang mit der NGT-Technologie. Hinzu kommen regulatorische Hürden, die ein strenges Zulassungsverfahren nach den Richtlinien des Gentechnikgesetzes umfassen, unter das NGT-Pflanzen zum Zeitpunkt der Recherche (Stand: September 2024) nach wie vor eingestuft waren.

Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt

Der Zeitvorteil der NGT-Züchtung ist also abhängig vom Kenntnisstand zur Pflanzengenetik und von technischen sowie regulatorischen Hürden. Solange die Wissenslücken über wenig beforschte Kulturarten (sog. orphan crops) und über unerwünschte Nebenmutationen nicht geschlossen sind, bleiben konventionelle Verfahren unverzichtbar für den Fortschritt in der Pflanzenzüchtung. Auf der einen Seite führen die klassische Kreuzung und andere, erprobte Methoden wie die Zufallsmutagenese ebenso zum Erfolg. Auf der anderen Seite produzieren diese Techniken eine große Heterogenität in der nachfolgenden Generation (aufgrund natürlicher Rekombination während des sexuellen Vermehrungsschrittes), die aufwändig und in großer Stückzahl selektiert werden muss. Oftmals folgt auf die eigentliche Kreuzung ein mehrjähriger Rückkreuzungsprozess, der die Rückbildung unerwünschter, „mitvererbter“ Merkmale zum Ziel hat. Die Rückkreuzung mit der Elternlinie (engl. backcrossing) und die damit verbundenen zeitlichen und materiellen Ressourcen sind geschwindigkeitsbestimmend für die konventionellen Methoden der Pflanzenzüchtung.

Sowohl klassische Züchtungen als auch NGT-Pflanzen (wenn sie nach einem aktuellen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission als „konventionell“ eingestuft würden) müssen vor der Vermarktung beim Bundessortenamt angemeldet und einer mehrjährigen Sortenprüfung unterzogen werden. Hier wird jede Innovation – analog zur klinischen Phase neuartiger Medikamente – im Feldversuch systematisch geprüft und ausgewertet. Voraussetzungen für die Sortenzulassung sind unter anderem die Unterscheidbarkeit von bestehenden Sorten, sowie Homogenität und Beständigkeit im Freiland- oder Gewächshausversuch. Außerdem wird bei landwirtschaftlichen Pflanzenarten eine Wertprüfung durchgeführt, die unabhängig von der Züchtungstechnik Eigenschaften wie Ertrag, Resistenz und Verwendungsmöglichkeiten mitbedenkt. Anhand definierter Kriterien wird geprüft, ob durch die angemeldete Sorte eine deutliche Verbesserung für den Pflanzenbau zu erwarten ist.

Zeitliche Horizonte bei verschiedenen Züchtungsverfahren.
Bild: BLE, verändert nach Plants for the Future ETP

Veränderung züchterische Freiheit?

Ob durch klassische Kreuzung und Selektion oder durch neuartige Laborverfahren: Bei der Sortenzulassung kommen alle neuen Züchtungen zusammen. Im Fall der herkömmlichen Techniken liegt die Stärke in der Neukombination bereits bestehender Sortenvielfalt. Neue Züchtungstechniken zeigen gute Ergebnisse in der Beschleunigung des Züchtungsprozesses, vor allem bei Pflanzen mit langer Generationszeit und/oder komplexer Genetik. So könnten NGT den Werkzeugkasten der Pflanzenzüchterinnen und -züchter ergänzen und die Zeitspanne bis zur Marktreife reduzieren.

Die Entwicklung neuer Pflanzensorten ist ein aufwändiges und teures Unterfangen. Im Schnitt investieren Züchtungsbetriebe etwa 17 Prozent ihres Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuer Sorten, die oft erst nach zehn Jahren auf dem Markt kommen werden. Dieser Mehraufwand wird durch den Verkauf von Saatgut finanziert. Da Pflanzensaaten sehr einfach „kopiert“ werden können, bedarf es eines angemessenen Schutzrechtsystems. In der Pflanzenzüchtung ist nach Ansicht der großen Branchenverbände durch das Sortenrecht ein ausreichender Schutz geistigen Eigentums gewährleistet, der den Züchtervorbehalt miteinschließt: Danach ist es jedem Züchter gestattet, die Pflanzensorten seiner Wettbewerber für die eigene Züchtung frei zu nutzen. Biopatente würden dieses Privileg unterwandern und wären zudem auf „im wesentlichen biologische Verfahren“ nicht anwendbar. Derzeit wird auch für NGT-Pflanzen eine Nicht-Patentierbarkeit geprüft, die eine Einschränkung der züchterischen Freiheit durch die neuartige Technologie verhindern könnte.

Fazit: Vor- und Nachteile der konventionellen und NGT-Züchtung


Glossar


Letzte Aktualisierung 04.09.2024

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