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Potenziale von Grünfassaden erkennen und nutzen Forschungsprojekt "BiodivFassade"

Können sich triste Häuserwände in blühende Ökosysteme verwandeln? Das Projekt „BiodivFassade“ zeigt Potenziale von vertikalen Begrünungssystemen auf, um den Herausforderungen des Klimawandels in urbanen Räumen zu begegnen.

Positive Effekte durch "BiodivFassade": Die Umgebungstemperatur wird gesenkt, es entstehen Lebensräume für Tiere und Pflanzen und ein attraktiveres Umfeld für Menschen.
Bild: Dipl.-Ing. Eva Bender, Universität Stuttgart

Städte spielen eine zentrale Rolle bei einer nachhaltigen und klimaangepassten Umweltgestaltung. Wegen ihrer dichten Bebauung und starken Versiegelung sind sie besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels. Ein großes Problem: Städte heizen sich schnell auf. Nachts kühlen sie nur schwer ab. Die Folgen sind: Gesundheit und Wohlbefinden von Menschen, Tieren und Pflanzen leiden.

Um den verschiedenen Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen, ist es wichtig, den Anteil an Grünflächen in Städten zu erhöhen. Das steigert auch die Anforderungen an klimaangepasste Architektur. Wenn man Gebäudefassaden, Lärmschutzwände oder Mauern „grün denkt“, schafft das neue Möglichkeiten. So entstehen identitätsstiftende und attraktive Lebensräume.

Eva Bender von der Universität Stuttgart und Dr. Pia Krause vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik stellen zwei innovative Grünfassadensysteme vor. Neben ersten wissenschaftlichen Erkenntnissen teilen die Expertinnen Tipps für eine gelungene Umsetzung. Gärtnerinnen und Gärtner erfahren auch, an welchen Stellen ihre Kompetenzen langfristig gefragt sind.

Der vollständige Titel des wissenschaftlichen Projektes lautet: „Entwicklung eines Grünfassadensystems zur Förderung der Biodiversität als Teil der urbanen grünen Infrastruktur“. Kurztitel: „BiodivFassade“.

Stand der Forschung: Wo setzt das Projekt an?

Das Potenzial von vertikalen Begrünungssystemen ist noch nicht ausgeschöpft. Das zeigt der aktuelle Stand der Technik und Forschung. Marktgängige, konventionelle Grünfassadensysteme werden primär aus einem gestalterischen und pflegerischen Anspruch heraus geplant und umgesetzt. Aus optischen Gründen wird meist eine geringe Artenvielfalt mit immergrünen und häufig nicht-einheimischen Pflanzenarten sowie eine monospezifische, strukturarme Bepflanzung eingesetzt. Der Pflegeaufwand ist überschaubar.

„BiodivFassade“ verfolgt einen anderen Ansatz. Es wird eine vielfältige und aufeinander abgestimmte Pflanzenauswahl getroffen. Gleichzeitig integriert man Brut- und Nistplätze für verschiedene Tierarten. So entsteht ein funktionierendes vertikales Ökosystem. Dieses Vorhaben zeigt, dass die so genutzten Fassaden künftig eine wertvolle Rolle in der umweltgerechten Transformation der Städte spielen können.

Welche Grünfassaden-Systeme wurden entwickelt und was haben sie gemein?

Je nach architektonischen Gegebenheiten kann zwischen einem Wand- oder einem Trogsystem gewählt werden.
Bild: Dr.-Ing. Pia Krause, Fraunhofer Insitut für Bauphysik
  1. Wandgebundenes System: Vertikale Anbringung des Systems vor der Fassade oder direkt in die Fassade integriert (links im Bild).
  2. Trog-System: Die Pflanzen wachsen horizontal im Substrat (rechts im Bild). 

Beide Systeme integrieren heimische Wildstauden, Kräuter und Gräser. Sie enthalten gezielt darauf abgestimmte modulare Habitatsysteme wie Brut- und Nistplätze für Wildbienen. Dadurch entsteht eine für Vertikalbegrünungen bisher einzigartige, heterogene Pflanzen- und Strukturvielfalt. Der Fokus bei der Pflanzenwahl liegt auf einer Zusammensetzung mit wechselndem Blühvorkommen. 

Auch bei der Habitatentwicklung steht die Erhöhung des Strukturreichtums im Mittelpunkt. Dazu werden verschiedene mineralische Materialien wie Sand und Lehm integriert. Organische Materialien kommen ebenfalls hinzu. Verwendet wird beispielsweise Totholz.

Positive Effekte von vertikaler Begrünung nachgewiesen

Wissenschaftliche Untersuchungen im Projekt „BiodivFassade“ offenbaren folgende Erkenntnisse:

Entwicklung der Pflanzen

  • Vier Wochen nach Installation sind die Wände dicht bewachsen und weisen Blühanteile auf.
  • Zusätzliche Nährstoffzugaben können bereits nach wenigen Wochen reduziert werden.
  • Viele Pflanzen entwickeln sich so gut, dass nach wenigen Monaten der erste Rückschnitt erfolgen sollte.

Auswirkungen auf die Umgebungstemperaturen

  • Die Oberflächentemperatur der Hauswand reduziert sich. Dadurch verringert sich die Wärmeausstrahlung in den Stadtraum.
  • An heißen Tagen misst man eine Evapotranspiration von mehr als sieben Litern pro Quadratmeter.
  • Eine Wand mit etwa 40 Quadratmetern verdunstet so insgesamt über 280 Liter Wasser pro Tag. Das entspricht der Verdunstung eines vitalen Stadtbaums.

Ansiedlung von Tieren

  • Zahlreiche Bestäuber-Insekten, wie Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen und Schmetterlinge, besuchen die Wand.
  • Die integrierten Insekten-Habitate akzeptieren sie gut. Bereits wenige Wochen nach der Installation gibt es erste Nistverschlüsse.
  • Einheimische Vogelarten, wie Amsel und Grünfink, nutzen die Strukturen der Wände. Sie bauen ihre Nester direkt in die Fassade.
  • Im Herbst und Winter sieht man den Stieglitz bei der Nahrungsaufnahme. Er ernährt sich unter anderem von Samen von Königskerzen und Disteln.

Umsetzungstipps: Gute Planung ist die halben Miete

Der Bau einer Grünfassade gliedert sich in drei übergeordnete Schritte: 1. Planung, 2. Installation und Montage, 3. Pflege und Monitoring. Der Erfolg hängt besonders vom ersten Schritt, der umsichtigen Planung, ab. Folgende Fragen sind zentral:

  • Bauliche Prüfung: Ist die Baustatik geeignet? Sind Fragen des Brandschutzes geklärt? Ist die bauphysikalische Unversehrtheit der Gebäudehülle sichergestellt?
  • Wasserversorgung: Wie wird die Wasserversorgung der Pflanzen sichergestellt? Kann eine Regenwasserzisterne integriert werden? Welche modernen, digitalen Systeme eigenen sich für die gleichzeitige Wasser- und Nährstoffzufuhr?
  • Erstellung eines Pflanzplans: Welche Pflanzen passen gut zusammen und sind speziell auf den Standort und die Fassadenorientierung abgestimmt?
  • Weitere ökologische Aspekte: Welche Tiere leben am Standort und welche Habitatsysteme benötigen sie?
  • Langfristiger Finanzplan: Sind die finanziellen Mittel ausreichend, auch im Hinblick auf die langfristige Instandhaltung und Pflege?

 

Synergien nutzen: Besonders beim Pflanzplan und der Auswahl von Habitatsystemen sollte sichergestellt werden, dass diese auch zusammenpassen. Liegt der Fokus beispielsweise auf der Ansiedlung von Fledermäusen, sollten im Pflanzplan auch nachtblühende Pflanzen, die Nachtfalter und Motten anziehen, berücksichtigt werden.

Welche Stauden eigenen sich besonders für Grünfassaden?

Je nach System eignen sich unterschiedliche Pflanzenzusammensetzungen. Das wandgebundene System nutzt mehrjährige Stauden, Gräser und teilweise auch kleinere Sträucher. Pflanzen, die mit feinen Rankhilfen auskommen, sind ideal für das Trog-System. Eine abgestimmte Unterpflanzung ergänzt die Kletterpflanzen wertvoll. Die Unterpflanzung erhöht den Strukturreichtum und fördert die heimische Fauna. Im Trog-System lassen sich auch ein- oder zweijährige Pflanzen integrieren.

Aspekte einer biodiversitätsfördernden Bepflanzung grüner Fassaden

Von Planung bis Pflege: Gartenbauprofis sind gefragt

Bei der fachgerechten Planung und langfristigen Pflege spielen kompetente Gartenbauunternehmen eine wichtige Rolle.
Bild: Dipl.-Ing. Eva Bender, Universität Stuttgart

Biodiversitätsfördernde Grünfassaden sind besonders vielfältig. Um die Vielfalt langfristig zu erhalten, braucht es zwingend eine fachgerechte Planung und Pflege. Geeignete Pflanzenkombinationen müssen standortangepasst ausgewählt und bei der Pflege entsprechend bewertet und zurückgeschnitten werden. Nur so kann das Gleichgewicht von dominanteren und weniger dominanteren Pflanzen gehalten werden. Vitalität und Diversität der Grünfassade sind das Ergebnis. 

Auch ist der Pflegezeitpunkt entscheidend. Die Wände verändern sich mit den Jahreszeiten und so auch das Nahrungsangebot und ihre Bewohner. Vermeidlich nutzloses, trockenes Pflanzenmaterial wie Samenstände und Pflanzenstängel bieten in den Wintermonaten Nahrung für Vögel und Unterschlupfmöglichkeiten für viele Insekten. Sie sind Teil des Winterkleides der Wand und werden erst im Frühling zurückgeschnitten. Eine extensive Pflege unterstützt und erhält die wertvollen Strukturen für die einheimische Fauna das ganze Jahr über.

Weitere Informationen zum Projekt

Allgemeines: Das Projekt “BiodivFassade” ist ein Verbundprojekt unter der Mitwirkung der Universität Stuttgart und Helix Pflanzensysteme GmbH. An ausgewählten Gebäudewänden des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik konnten die entwickelten Systeme installiert und untersucht werden. Das Gesamtvorhaben wird im Rahmen des Innovationsprogramms des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert und vom Projektträger der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) betreut. Die Projektlaufzeit endet am 31. März 2025.

INUGA: Eine Übersicht zu weiteren zukunftsweisenden Projekte im urbanen Gartenbau finden Sie auf der Internetseite des Innnovationsnetzwerks Urbaner Gartenbau (INUGA). INUGA ist eine Vernetzungs- und Transfermaßnahme zur "Bekanntmachung über die Förderung von Innovation im urbanen Gartenbau" des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). 

Auszeichnung: „BiodivFassade“ gewann den Sonderpreis für Biodiversität und den Publikumspreis der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen - DGNB e.V.


Letzte Aktualisierung 24.10.2024

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