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Pflanzenzucht – Von der Auslese zu CRISPR/Cas Pflanzenzüchtung

Durch gezielte Züchtung werden aus wilden Pflanzen an die Bedürfnisse des Menschen angepasste Kulturpflanzen. Die eingesetzten Züchtungsmethoden haben sich von der händischen Auslese zu hoch technisierten Verfahren weiterentwickelt.

Sogar Bäume beginnen ihr Leben in einer Petrischale: In dieser Thüringer Baumschule wird züchterisch unter anderem an schnellwachsenden und umweltresistenten Bäumen geforscht. Quelle: Catrin Hahn

Wenige Wirtschaftsbereiche sind so eng verbunden mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wie der Ackerbau und die zugrunde liegende Pflanzenzüchtung. Vor etwa 12.000 Jahren begannen Ackerbauern in Vorderasien, Samen von nutzbaren Wildpflanzen zu sammeln und nach Aussaat das Saatgut der Pflanzen mit besonders günstigen Merkmalen in Reinform zu vermehren. Durch das Bestreben nur die Saat der besten Pflanzen für die nächste Aussaat zu verwenden, sind Pflanzen mit veränderten Eigenschaften entstanden.

Seit damals ist die Auslese – also die Auswahl von Pflanzen mit gewünschten Eigenschaften unter Hunderttausenden – das Grundprinzip der Züchtung. Heute existieren hochmoderne, schnelle und präzise Instrumente, um dieses Grundprinzip zu unterstützen und zu beschleunigen. Eines dieser Instrumente, die Genschere CRISPR/Cas9, beziehungsweise dessen zwei Erfinderinnen, wurde am 7. Oktober 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Die Forschungen der beiden Wissenschaftlerinnen erlauben nach Überzeugung des Nobelpreiskomitees nicht nur bahnbrechende Möglichkeiten für die Krankheitsbekämpfung in der Humanmedizin, sondern auch einen präzisen und vor allem schnellen Weg zu dringend benötigten Zuchtzielen bei Nutzpflanzen.

Die Auslese – Auswahl der Besten

Begonnen hat die Geschichte der Züchtung, als unsere Vorfahren per Auslesezüchtung aus Wildgräsern die Urgetreide Emmer und Einkorn selektierten. In den darauffolgenden Jahrtausenden entstanden auf dem gleichen Weg die Kulturen Lein, Weizen, Gerste, Mais und Hirse, Kartoffeln, Raps und Roggen.

Im 18. Jahrhundert schließlich begann die Phase der forschungsbasierten, an wirtschaftlichen Interessen ausgerichteten Züchtung:
Der Berliner Apotheker und Chemiker Andreas Sigismund Marggraf hatte 1747 entdeckt, dass der teuer importierte Rohrzucker chemisch identisch mit dem Zucker aus der heimischen, aber zuckerarmen Runkelrübe ist. Sein Schüler Franz Carl Achard selektierte daraufhin Rübensorten mit höherem Zuckergehalt – die heutigen Zuckerrüben – und errichtete 1801 im schlesischen Kunern die erste Rübenzuckerfabrik.

Vererbung nach Mendelschen Regeln

Mit dem Einsatz von Z-Saatgut (zertifiziertem Saatgut) können Landwirte den aktuellen Zuchtfortschritt nutzen. Quelle: Catrin Hahn

Mitte des 19. Jahrhunderts erforschte der tschechische Mönch Gregor Mendel in mühsamer Kleinarbeit die wissenschaftlichen Grundlagen für die heutige Züchtungsarbeit. 20 Jahre lang überprüfte er im Klostergarten seine – damals unpopuläre – These, dass Mutter- und Vaterpflanzen gleichermaßen über die Eigenschaften der Nachkommen bestimmen. 1866 brachte er die „Mendelschen Regeln“ zu Papier und legte damit den Grundstein für die Kombinationszüchtung.

Bei der Kombinationszüchtung werden zwei Pflanzen gezielt miteinander gekreuzt um Nachkommen zu erzeugen, die eine Kombination der Eigenschaften der Eltern zeigen. Es sollte allerdings noch vier Jahrzehnte dauern, ehe durch die Botaniker Correns, de Vries und von Tschermak zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde, wie bahnbrechend diese Theorie war.

Das Jahrhundert der Grünen Revolutionen

In Deutschland hatten passionierte Landwirte ebenfalls Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer systematischen Züchtungsarbeit begonnen. Dies war der Ursprung der bis heute mehrheitlich privatwirtschaftlich strukturierten deutschen Züchterlandschaft. Als Anfang des 20. Jahrhunderts endlich die Bedeutung der Mendelschen Regeln erkannt wurde, begannen viele Gutsbesitzer, sich per Kreuzungszüchtung auf die Verbesserung einzelner Kulturpflanzenarten zu spezialisieren.

Das Zusammenspiel aus systematischer, technisch fortgeschrittener Züchtung, verbesserten acker- und pflanzenbaulichen Maßnahmen und Innovationen in Düngung, Pflanzenschutz und Landtechnik brachte in den kommenden Jahrzehnten in atemberaubendem Tempo Ertragssteigerungen, neue Qualitätseigenschaften und Kulturpflanzen hervor. Das Jahrhundert der „Grünen Revolutionen“ hatte begonnen.

Im Jahr 2020 wurden im Durchschnitt 78,9 Dezitonnen Winterweizen, 420,2 Dezitonnen Kartoffeln, 735,0 Dezitonnen Zuckerrüben und 36,8 Dezitonnen Winterraps je Hektar entsprechender Anbaufläche geerntet. Seit den 1950er Jahren sind die Hektarerträge deutlich gestiegen. Im Vergleich der 10-Jahreszeiträume 1950-1959 und 2011-2020 sind die durchschnittlichen Hektarerträge bei Winterweizen um 165 Prozent, bei Kartoffeln um 95 Prozent, bei Zuckerrüben um 112 Prozent und bei Winterraps um 83 Prozent gestiegen. Gründe für die steigenden Hektarerträge sind unter anderem Fortschritte in der Züchtung, der Düngung, dem Pflanzenschutz und der Landtechnik.

Im Züchtungsbereich entwickelten sich erste Verbandstrukturen und wissenschaftliche Forschungseinrichtungen. Weltweit arbeiteten nun Wissenschaftler intensiv an der Weiterentwicklung züchterischer Methoden. Ab 1920 lieferte die Hybridzüchtung (damals noch unter dem Begriff Heterosiszüchtung) faszinierende Ergebnisse. Sie nutzt den Heterosis-Effekt, der Nachkommen (Hybriden) aus der Kreuzung zweier verschiedener Pflanzensorten besonders Leistungsstark macht.

Die weltweite Züchtergemeinde hat vor gut 100 Jahren begonnen, Pflanzenmaterial in Genbanken einzulagern. Allein die Genbank Gatersleben in Sachsen-Anhalt, eine der weltweit größten, verfügt über einen Bestand von über 150.000 Samenmustern aus mehr als 3.000 Arten. Quelle: Catrin Hahn

Nur wenige Jahre später folgte die Mutationszüchtung, bei der Samenmaterial sogenannten Mutagenen – Strahlung, Temperaturschocks oder Chemikalien – ausgesetzt wird. Die so erzeugten Pflanzen weisen eine riesige Vielfalt verschiedener Mutationen auf. Allerdings hat der Züchter bei dieser ungerichteten Behandlung keinen Einfluss darauf, welche Eigenschaften wie verändert und ausgeprägt werden. Die anschließende Auslese, Kreuzungs- und Rückzüchtung ist daher langwierig und mühsam.

Langsam setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine möglichst große Vielfalt an genetischem Ausgangsmaterial eine wichtige Voraussetzung für die Züchtung ist. Dies führte zur Weiterentwicklung bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika bestehender Sammlungen von Wild- und Zuchtsorten zu den heutigen Genbanken.

Präzisionszucht als Weiterentwicklung der Kreuzungszucht

Die in den 90ern verfeinerten Methoden der Präzisionszüchtung beziehungsweise SMART Breeding (SMART = Selection with Markers and Advanced Reproductive Technologies) verkürzen den Züchtungsprozess dramatisch. Das Verfahren beruht auf der Analyse des Erbguts im Hinblick auf Genvarianten, die mit bestimmten Eigenschaften der Pflanze verknüpft sind. Elternpflanzen können so gezielt für Kreuzungen ausgewählt werden. Bei den Nachkommen kann bereits im Keimlingsstadium festgestellt werden, ob gewünschte Genvarianten vererbt wurden und die Pflanze weiter kultiviert werden soll oder nicht. Waren die Elternpflanzen nicht gentechnisch verändert, unterliegen die Nachkommen nicht dem Gentechnikrecht, da das Erbgut nur Analysiert, jedoch nicht gentechnisch verändert wird.

Züchtung im Labor: Grüne Gentechnik

Moderne Züchtungsmethoden sind mit einem großen technologischen Aufwand verbunden. Der abgebildete Hochdurchsatz-Flüssigkeitsdispenser pipettiert Flüssigkeiten und wird beispielsweise beim SMART Breeding eingesetzt. Quelle: Catrin Hahn

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts erlebte die Pflanzenzüchtung einen weiteren Quantensprung: Neue gentechnische Verfahren gestatteten erstmals einen direkten und präzisen Eingriff ins Erbgut von Pflanzen. So können nun mithilfe der Grünen Gentechnik arteigene oder artfremde Gene ins Erbgut eingeschleust und so gentechnisch veränderte Organismen (GVO) erzeugt werden. Anders als bei spontan entstehenden oder durch Mutagene erzeugten Mutationen, mit denen die Mutationszüchtung auch heute noch arbeitet, können hier einzelne Gene gezielt an ihren Bestimmungsort transferiert und dabei Hindernisse wie Artgrenzen oder Unfruchtbarkeit überschritten werden.

In Deutschland und vielen europäischen Ländern ist der Anbau gentechnisch veränderter Organismen nicht gestattet. Weltweit bestimmen gentechnisch veränderte Pflanzen allerdings zunehmend den Markt: Die meisten gentechnisch veränderten Merkmale betreffen die Anbaubedingungen der Pflanzen, etwa durch den Einbau von Herbizid- oder Insektenresistenzen. Daneben gibt es auch zahlreiche Beispiele für Pflanzen mit veränderten Produkteigenschaften, wie der Inhaltsstoffzusammensetzung oder Haltbarkeit.

Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends wurde mit dem Genome Editing beziehungsweise den neuen Züchtungsmethoden ein Werkzeug entwickelt, mit dem einzelne Gene zielgerichtet verändert werden können. Zu diesen molekularbiologischen Techniken zählt auch das nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnete CRISPR/Cas-Verfahren. Genome Editing hinterlässt im Erbgut keine charakteristischen Spuren und kann damit in der Regel nicht nachgewiesen werden.


BZL-YouTube-Kanal: Genschere - Chancen und Risiken


Der Europäische Gerichtshof entschied im Juli 2018, dass auch durch neue Züchtungsmethoden erzeugte Pflanzen den Regulierungsanforderungen eines GVOs unterliegen. Viele Wissenschaftler und Züchter widersprechen dieser Ansicht und meinen, dass diese dringend benötigten präzisen Arbeitswerkzeuge damit unnötig blockiert würden.

Die Züchtung steht vor gigantischen Aufgaben, hervorgerufen durch Themen wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum, Nachhaltigkeit oder Bioökonomie. In immer kürzeren Zeitspannen müssen Sorten gefunden werden, die unter schwierigen Standort- und Umweltbedingungen hohe Erträge bereitstellen, weniger Betriebsmittel verbrauchen und den Ansprüchen der Verbraucher genügen. Eine innovative und schlagkräftige Züchterbranche ist damit heute wichtiger denn je.

Letzte Aktualisierung 29.10.2020

Pflanzenzucht – Zuchtziele

Pflanzenzüchtung ermöglicht erhebliche Ertrags- und Qualitätssteigerung und macht Pflanzen widerstandsfähig gegen Krankheiten, Schaderreger und Umwelteinflüsse. Die Zuchtziele haben sich im Lauf der Zeit verändert und können heute dank moderner Methoden deutlich schneller erreicht werden.

Züchterlandschaft in Deutschland

Die Pflanzenzüchter in Deutschland weisen eine einmalige Struktur mit einer Vielzahl mittelständischer Unternehmen auf. Eine innovative und schlagkräftige Züchterlandschaft ist im Hinblick auf den Klimawandel, das Wachstum der Weltbevölkerung und der Forderung nach mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft existenziell notwendig.

Sortenschutz: Garant für Innovationen

Hohe Erträge, attraktive Blüten, Resistenzen oder Toleranz gegenüber Trockenstress – schon für sich genommen stellt jedes Züchtungsziel eine Herausforderung dar. Je mehr positive Eigenschaften eine Sorte in sich vereinen soll, desto größer ist die Aufgabe.