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Birgit Motteler vom Beratungsdienst Familie & Betrieb e. V. in Bollschweil – St. Ulrich hat im Auftrag des Verbandes der Landwirtschaftskammern ein Beispiel ausgearbeitet, das zeigt, welche Gedanken und Überlegungen in abgebenden Familien eine besondere Rolle spielen.
Wie ein Damoklesschwert schwebte das Thema Hofnachfolge über dem Küchentisch von Familie Burger, den Bewirtschaftern eines florierenden Milchviehbetriebes in Süddeutschland.
Ihre vier erwachsenen Kinder hatten allesamt andere Berufswege eingeschlagen. Keines schien den Hof übernehmen zu wollen.
Die Eltern hatten ihnen diese Freiheit gewährt, und trotzdem waren sie betrübt und ratlos und fragten sich „Haben wir etwas falsch gemacht?“
Nach einem lange hinausgezögerten Gespräch in der Familie über die Zukunft des Betriebes war jeder erleichtert, dass es ausgesprochen war. Der Weg wurde frei für eine außerfamiliäre Hofübergabe. „Natürlich hätte ich es gerne anders gehabt“, erinnert sich Alfons Burger, „aber ich musste mich den Tatsachen stellen“.
Familie Burger ist kein Einzelfall. Deutschlandweit haben mehr als 60 % der Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter, die älter als 55 Jahre sind, keine oder eine ungesicherte Hofnachfolge (zur Infografik). „Ich habe schon viele Krisen gemeistert in meinem Leben, aber das war die schwierigste“, resümiert Frau Burger.
Heute lebt Familie Burger mit einem jungen Nachfolgerpaar auf dem Hof. Sie sind gemeinsam dabei, Schritt für Schritt die Hofübergabe umzusetzen. Wie dies gelingen kann? Dafür gibt es kein einfaches Rezept, aber jede Menge guter Zutaten!
Was will ich, was nicht? Wo kann ich Kompromisse eingehen? Und vor allem: Will ich das überhaupt? Können wir uns als Betriebsleiterpaar beide vorstellen, unser Eigentum in fremde Hände zu geben? Wie könnte es konkret aussehen? Welche Form der Übergabe passt zu uns und zu unserem Betrieb? Und wie soll unser Leben nach der Übergabe sein? Wollen wir auf dem Hof wohnen bleiben, wollen wir im Stall mithelfen, brauchen wir noch unsere Werkstatt?
Fragen über Fragen tun sich auf, auch die vermeintlich einfache Frage: Darf ich das überhaupt? Für manche ist eine Übergabe an Fremde wie ein Verrat an der Familientradition. Andere sehen darin die Chance, dass ihr Lebenswerk und das ihrer Vorfahren weitergeführt und der Hof erhalten werden kann.
Diese Selbstklärung ist ein wichtiger Schritt, den die Übergebenden für sich und ggf. gemeinsam mit ihren Kindern machen müssen. Auch die Kinder sollten die Entscheidungen ihrer Eltern verstehen und mittragen können, sonst hängt der Haussegen schief. Ihnen ist es nicht egal, was aus ihrer Heimat und ihrem potentiellen Erbe wird. Und sie wollen ihre Eltern im Alter gut versorgt wissen.
Erst wenn diese Überlegungen in der Familie stattgefunden haben und den Übergebenden klar ist, dass sie bereit sind abzugeben, sie wissen, was sie wollen, was sie zu bieten haben und was sie suchen, kann es mit der Suche losgehen.
Die Suche ist ein Nadelöhr. Sie kostet Zeit, Kraft und Nerven. Das Besondere der außerfamiliären Hofübergabe ist, dass ich mir meine „Erben“ auswählen kann. Aber wie finde ich die Richtigen? Wie wähle ich aus?
An erster Stelle steht das Bauchgefühl, die Chemie muss stimmen. Ich muss den anderen „riechen“ können. Dann kommen meine Entscheidungskriterien ins Spiel, wie die Qualifikation der Interessenten, deren Betriebskonzept, deren Vorstellungen, Wünsche und Erwartungen. Und schließlich der Abgleich, wie das mit meinen Vorstellungen zusammenpasst. Nach meinem Gusto backen kann ich mir meine Nachfolger jedoch nicht. Nicht alle meine Vorstellungen werden realisierbar sein. Es braucht Offenheit und Flexibilität, um von ursprünglichen Zielen und Erwartungen abrücken zu können. Wichtig ist zu unterscheiden, wo ich Abstriche machen kann und was für mich nicht verhandelbar ist. All das ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Selten klappt es beim ersten Versuch.
„Ich hätte nicht gedacht, dass wir so viele Anläufe brauchen“, erinnert sich Herr Burger. „Mein Fehler war meine eigene Unklarheit. Ich dachte, ich probier´s halt mal. Und ich habe gesucht, wer passen könnte. Was dabei gefehlt hat, es muss auch für die Jungen passen. Was nicht immer der Fall war. Wir Übergeber sind unter Zeitdruck. Die Jungen haben viele Optionen. Vermisst habe ich oft ein Betriebskonzept. Besonders belastend empfand ich die Auswahl. Hinter jeder Bewerberin und jedem Bewerber steht ein Mensch mit seiner Lebensgeschichte.“
Ist schließlich eine Wahl getroffen, drängen weiter Ängste ins Bewusstsein: Ist der Betrieb bei den jungen Leuten in guten Händen, kommen wir miteinander aus und werden wir im Alter gut versorgt?
Eine Garantie dafür gibt es nicht, aber die gibt es innerhalb der Familie auch nicht. Ein näheres Kennenlernen ist unabdingbar. Wenn für beide Seiten möglich, empfiehlt sich ein Probejahr, z. B. in Form eines entlohnten Arbeitsverhältnisses. Das gibt beiden Seiten die Sicherheit, sich auf gute Art und Weise trennen zu können, falls es nicht klappen sollte.
Neben dem Kennenlernen sollte diese Zeit für das Verhandeln genutzt werden. Alle Themen müssen auf den Tisch, auch die, über die man nicht so gerne spricht. So muss auch über erste Unstimmigkeiten, Sorgen und Ängste, Bedürfnisse sowie Erwartungen gesprochen werden.
Wie stellen sich die Beteiligten ihr Leben, ihren Alltag vor? Wieviel Miteinander, wieviel Trennung soll es geben? Wer findet wo seinen Platz und seine Rolle? Wer hat bei der Arbeit welche Vorlieben, wer übernimmt welche Verantwortung und wer entscheidet was? Wie wohnen wir, wie läuft das mit Besuch und vieles mehr.
Besser die Dinge werden gleich besprochen, als (zu) spät oder nie. „Man muss sich einig sein. Womit können wir gut leben und womit die anderen“, rät Frau Burger.
Ein schwieriger Verhandlungspunkt ist die finanzielle Seite. Auch hierüber muss offen und transparent, aber respektvoll gesprochen werden. Über den Wert des Hofes sowie die Wirtschaftlichkeit gehen die Ansichten gegebenenfalls auseinander. Die Zahlen müssen ungeschönt auf den Tisch. „Ich muss sprichwörtlich die Hosen runterlassen“, kommentiert Herr Burger.
Die Übernehmenden müssen leben, in den Betrieb investieren und Rücklagen bilden können. Die Übergebenden müssen für ihren Lebensabend abgesichert sein. Sie müssen wissen, was sie zum Leben brauchen und inwieweit sie bereits versorgt sind. Und sie müssen entscheiden, wollen sie das Maximale aus ihrem Hof erlösen oder wollen sie dem Hofnachfolger Luft zum Atmen geben.
Selbst nach einer getroffenen Entscheidung ist die Hofübergabe für die Übergebenden emotional fordernd. Veränderungen sind immer persönliche Umbruchzeiten und für die meisten Menschen mit schwierigen Gefühlen wie Verunsicherung, Angst, Wut, Verzweiflung besetzt.
Zwei Themen drängen sich erfahrungsgemäß in den Vordergrund: Wie kann ich loslassen? Wie kann ich vertrauen? Alle Gefühle, die hoch kommen, muss ich ernst nehmen. Sie haben ihre Berechtigung. Ich muss mich ihnen stellen, muss daran arbeiten, bis ich für mich sagen kann:
Die Bewältigung der emotionalen Seite ist eine eigenständige Aufgabe im Prozess der Hofübergabe.
Manch einer denkt, da haben es die Übernehmenden leichter. Sie müssen einen solchen Prozess nicht durchmachen. Weit gefehlt, auch die Übernehmenden müssen loslassen, ihr bisheriges Leben, ihre Familie und Freunde, ihren bisherigen Beruf hinter sich lassen. Sie fangen an einem neuen Ort ganz von vorne an.
Der große Unterschied ist, dass die Übernehmenden ein klares und positives Ziel vor Augen haben. Damit fällt das Loslassen leichter. Für die Übergebenden bricht das Alte weg und das Neue ist noch nicht da. Sie müssen ihren neuen Lebensabschnitt aktiv gestalten mit neuen Lebensinhalten, Herausforderungen, Betätigungsfeldern – und positiven Zielen. Loslassen und Anpacken gehört somit untrennbar zusammen!
Damit beide Seiten diese aufwühlenden Zeiten gut überstehen, ist es wichtig, dass sie vom Prozess des anderen wissen und ihn respektieren. Sich darüber auszutauschen, wie es dem anderen geht und was er oder sie im Moment braucht, hilft zur Verständigung untereinander. „Für mich war es schwierig, ich hatte als Unternehmer immer aufgebaut und jetzt musste ich mich zurückziehen und mit meiner Endlichkeit auseinandersetzen“, erinnert sich Frau Burger.
Große Veränderungen gehen nicht von heute auf morgen. Es braucht eine eigene Zeit des Übergangs. Emotional geht es hier um eine Zeit des Abschiednehmens und des Neuanfangs. Auf der Sachebene geht es um Recht, Steuer, Betriebswirtschaft, Finanzierung, soziale Absicherung. Bezüglich der Umsetzung geht es darum, die Vorstellungen der Übergebenden und Übernehmenden alltagstauglich in Einklang zu bringen, klare Trennungen zu schaffen, Entscheidungen zu treffen, Vereinbarungen verbindlich festzuklopfen.
Es muss klar sein, wann ein Übergang von Verantwortung und von Eigentum stattfinden soll. Getroffene Absprachen sollten schriftlich festgehalten werden. Der Übergang braucht einen klaren rechtlichen Rahmen, zum Beispiel einen Arbeitsvertrag, einen klaren Zeitplan und einen klaren Abschluss, beispielsweise einen Übergabevertrag. Ebenso braucht es einen Notfallplan, ein Ausstiegsszenario für beide Seiten mit entsprechenden Regelungen.
Zusammenfassend wird deutlich: Die außerfamiliäre Hofübergabe ist ein komplexes Vorhaben. Sie braucht kompetente Fachberatung von betriebswirtschaftlicher, steuerlicher und rechtlicher Seite sowie eine Prozessbegleitung, die auch die emotionale Seite mit in den Blick nimmt.
Nur zweimal im Leben machen wir diesen umfassenden Schritt, einmal als Übernehmende und einmal als Übergebende. Man kann die Hofübergabe sehen wie einen neuen Betriebszweig. Sie braucht entsprechende Aufmerksamkeit, Know-How, klare Ziele und Maßnahmen, Durchhaltevermögen und somit genügend Zeit. Packen Sie es an, je frühzeitiger, desto besser!
„Da war keiner, der drängt. Meine Frau und ich mussten uns selbst aktiv auf den Weg machen,“ stellt Herr Burger klar, „und das zur rechten Zeit.“
Letzte Aktualisierung: 01.06.2022