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Wie können Lebensmittelabfälle und -verluste in der Primärproduktion reduziert werden? Betriebsführung, Familie & Personal

Verschwendete Ressourcen und schlecht für die Umwelt: Entlang der gesamten Lebensmittel-Versorgungskette, von Primärproduktion bis Privathaushalt, gehen Lebensmittel verloren. Wie die Situation auf Erzeugerbetrieben ist, zeigt eine Studie des Thünen-Instituts.

Durch den Klimawandel können Lebensmittelverluste in der Primärproduktion noch zunehmen, weil Extremwetterereignisse wie Hagel die Ernte gefährden. Hagelschutznetze sind allerdings teuer.
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Das Thünen-Institut hat im Rahmen der „Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung ab Dezember 2021 Daten von insgesamt 460 Betrieben aus der Landwirtschaft, der Fischwirtschaft beziehungsweise der Aquakultur erhoben. Ziel war es, Ursachen für Lebensmittelverluste in der Primärproduktion zu identifizieren und Maßnahmen zur Reduzierung von Lebensmittelverlusten und Lebensmittelabfällen zu finden. Beauftragt wurde die Studie vom Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

Lösungsansätze zur Minimierung von Abfällen und Verlusten

Viele Betriebe setzen bereits Maßnahmen zur Reduzierung von Verlusten um. Sie verringern Vorernte- und Ernteverluste unter anderem durch ein optimiertes Pflanzenbaumanagement. Dank innovativer Technologien und Digitalisierung gelingt es, Erntetermine und Erntemengen besser an die Nachfrage anzupassen. Die befragten Personen wünschen sich finanzielle Unterstützung von der Politik und rechtliche Sicherheit, um die Anschaffung moderner, teurer Anbau- und Erntetechnik zu ermöglichen, die Lebensmittelverluste reduzieren hilft.

Maßnahmen im Pflanzenbau

Durch Anpassung der Fruchtfolge oder der Bodenbearbeitung stellen Betriebe den Pflanzenbau resilienter auf. Zudem bieten einige Betriebe die Nachlese, also das Selbsternten, an. Gleichzeitig wünschen sich Erzeugerinnen und Erzeuger mehr Aufklärung und Sensibilisierung der Verbraucherinnen und Verbraucher bezüglich der Reduzierung von Lebensmittelabfällen und der Steigerung der Wertschätzung für Lebensmittel. In einer Lockerung der Qualitätsanforderungen, insbesondere der Abschaffung von Kriterien, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen, sehen viele Erzeugerinnen und Erzeuger die Chance, mehr Lebensmittel tatsächlich auf den Markt zu bringen.

Auf dem Weg des Erntegutes zur Verarbeitung oder in den Handel unterstützen bereits etablierte technologische Ansätze – die sogenannten Food Waste Technologies (FWT) – die Reduzierung von Lebensmittelabfällen und -verlusten. Nach einem Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag von 2021 sind sie beispielsweise in intelligenten Lebensmittel-Verpackungssystemen enthalten. Sie erhöhen die Rückverfolgbarkeit und Prozesstransparenz und damit die Lebensmittelqualität und –sicherheit. Außerdem gibt es digitale Möglichkeiten, um Obst und Gemüse, das auf dem Frischmarkt unverkäuflich ist, für andere Verarbeitungszwecke z. B. an Upcycling-Unternehmen zu vermitteln.

Reduzierung der Lebensmittelverschwendung in Deutschland

Das BMEL strebt an, die Lebensmittelabfälle in Deutschland pro Kopf in jedem Sektor der Lebensmittelversorgungskette, bis 2030 zu halbieren und Lebensmittelverluste zu reduzieren.
Im Rahmen der regelmäßigen Berichterstattung an die EU-Kommission, die methodisch nicht mit der Befragung des Thünen-Instituts zu vergleichen ist, hatte das Statistische Bundesamt für das Jahr 2020 Lebensmittelabfälle im Umfang von 10,9 Mio. Tonnen nach Brüssel gemeldet.

Welchen Umfang haben Lebensmittelabfälle und Lebensmittelverluste in der Primärproduktion?

Im Gemüsebau fallen besonders viele Lebensmittelverluste an, da der Handel hohe Ansprüche an das Aussehen und die Größe des Erntegutes stellt.
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Die Daten aus der Befragung des Thünen-Instituts zeigen, dass in Deutschland lediglich 64 Prozent der in der Primärproduktion erzeugten Lebensmitteln über die vorgesehene Vermarktung den Weg zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern finden. Die Schwankung zwischen den Branchen fällt mit 61 bis 68 Prozent dabei gering aus.

Die größten Verluste von Lebensmitteln, die den Verbraucher nie erreichen, verzeichnen die Erzeuger tierischer Produkte mit 30 Prozent, gefolgt vom Getreideanbau mit 24 Prozent, dem Gemüsebau mit 22 Prozent und dem Obstanbau mit 18 Prozent.

Nur 2 Prozent der Lebensmittel werden über die gewerbliche Abfallbehandlung entsorgt, weitere 22 Prozent der Lebensmittel werden außerhalb der Lebensmittelkette verwertet und zählen somit zu den Lebensmittelverlusten. Lediglich 12 Prozent der erzeugten Lebensmittel, die nicht zur ursprünglich vorgesehenen Vermarktung kommen, finden eine alternative Verwendung innerhalb der Lebensmittelkette.

Die Studie hat aber auch deutlich gemacht, dass bislang 42 Prozent der Betriebe Lebensmittelabfälle und Lebensmittelverluste nicht erfassen. Nur 19 Prozent quantifizieren sie genau, weitere 20 Prozent schätzen die Abfälle und Verluste.


Definitionen


Wie entstehen Abfallmengen und Verluste?

In der Primärproduktion entstehen abhängig vom Betriebsschwerpunkt an ganz unterschiedlichen Stellen Lebensmittelabfälle und -verluste. Sie können auf ungünstige Umweltbedingungen, Krankheitsgeschehen, Managementfehler oder auf gesetzliche und marktwirtschaftliche Anforderungen zurückgeführt werden. Sie entstehen im Betrieb auf verschiedenen Stufen oder aufgrund von Retouren und Nichtabnahmen.

Umfang der Vorernte- und Ernteverluste in der pflanzlichen Produktion

Die pflanzliche Produktion ist mehr als andere Bereiche der Primärproduktion von Umweltfaktoren abhängig. Die Planungssicherheit ist folglich geringer. Das trägt dazu bei, dass Verluste entstehen. Hinzu kommt, dass ungünstige natürliche Bedingungen während der Vegetationszeit und Ernte zu Beeinträchtigungen des Erntegutes führen können.

In der Wahrnehmung der Befragten waren solche biotischen und abiotischen Einflüsse mit 25 Prozent der häufigste Grund für Verluste bis zur Ernte. Weitere 36 Prozent sahen diese gelegentlich als Ursache.

Hohe Qualitätsanforderungen häufiger Grund für Verluste

Qualitätsanforderungen, die häufig noch über gesetzliche Vorgaben hinausgehen, sind ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung von Vorernte- und Ernteverlusten. Für 25 Prozent der Befragten entstehen häufig oder sehr häufig Vorernteverluste, wenn das Erntegut die gestellten Qualitätsanforderungen von Handel und Verarbeitung nicht erfüllt. Weitere 24 Prozent sehen dieses Problem gelegentlich. Zudem führen diese Anforderungen bei 30 Prozent der Befragten häufig oder sehr häufig zu Ernteverlusten und bei weiteren 28 Prozent gelegentlich.

Eingeschränkt transport- und lagerfähige Frischprodukte reagieren besonders sensibel auf Nachfrageschwankungen. Entsprechend häufiger bleiben sie bereits auf dem Feld zurück, wenn eine wirtschaftliche Vermarktung nicht gesichert ist. Vor allem bei Obst, Gemüse und Kartoffeln fallen größere Mengen Erntegut oder Pflanzenteile an, die nicht als Lebensmittel genutzt werden. Sie werden entweder unmittelbar eingearbeitet oder durch Biogas, Kompostierung und als Viehfutter alternativ genutzt.

Weitere Gründe für Verluste in der pflanzlichen Produktion

Seltener kommt es vor, dass Produkte aus wirtschaftlichen Gründen nicht geerntet werden, beispielsweise, weil der Markt vorrübergehend übersättigt ist oder die Abnahmen schwankend und schlecht zu kalkulieren ist. Weitere Gründe sind Personalengpässe während der Ernte oder logistische Schwierigkeiten. Insgesamt führen ökonomische und logistische Faktoren lediglich bei 25 Prozent der befragten Betriebe zu Vorernteverlusten.

Relativ gering sind die Putzverluste bei der Ernte. Für 70 Prozent der Betriebe verursachen sie keine nennenswerten Ernteverluste. Auch Beschädigungen durch unsachgemäß eingestellte und gewartete Maschinen oder aufgrund von Unachtsamkeit verursachen eher selten Ernteverluste.

Auch durch Lagerung und Transport entstehen Verluste

Die Lebensmittelketten sind heute bei vielen Früchten wie hier Tomaten am Feldrand in Italien global. Ebenso global müssen Maßnahmen zur Minimierung der Lebensmittelabfälle und -verluste weltweit betrachtet werden.
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Bei der Lagerung auf dem Erzeugerbetrieb gefährden Schädlingsbefall oder die Einlagerung von beschädigtem oder erkranktem Erntegut die Vermarktung als Lebensmittel. Auch Fehler bei der Handhabung, der Lagerung und Bruch führen zu Nachernteverlusten.

Je nach Erntegut kommt es früher oder später zum natürlichen Austrocknen, wenn die Reifeverzögerung nicht durch eine kontrollierte Lageratmosphäre gewährleistet ist. Auch nach einer gewissen Lagerzeit ist das Erntegut häufig noch verzehrfähig, aber von Handel und Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht mehr erwünscht.

Beim Transport können Lebensmittelverluste durch Havarien, Streiks oder lange Abfertigungszeiten an Ländergrenzen entstehen, wie sie beispielsweise mit Inkrafttreten des Brexits zu beobachten waren. Transportverluste entstehen außerdem, wenn die Produkte beim Um- oder Zwischenlagern verletzt werden. Auch Mängel bei der Transportinfrastruktur wie der Kühlung, den Transportbedingungen oder Transportbehältnissen verursachen Verluste.

Verluste in der tierischen Produktion

Tiere zählen erst nach der Schlachtung als Lebensmittel. Dennoch treten bei der Produktion von Lebensmitteln tierischen Ursprungs bereits vor der Schlachtung Verluste auf, die im Hinblick auf den Ressourceneinsatz, die CO2-Bilanz der Produkte und die ökonomischen Verluste auf betrieblicher Ebene relevant sind.

Erkrankungen von Tieren wie beispielsweise Mastitis bei Milchkühen erfordern Medikamentengaben. Aufgrund der Erkrankung kann es zu einer reduzierten Milchproduktion kommen. Zudem hat der Einsatz von Medikamenten zur Folge, dass die Milch als Sperrmilch verworfen werden muss.

In der Eierproduktion kommt es zu Knick- und Schmutzeiern, die nicht an Endverbraucherinnen und Endverbraucher abgegeben werden dürfen. Allerdings gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Eier dennoch weiter für die Humanernährung zu nutzen. Werden solche Eier stattdessen verfüttert, verlassen sie die Lebensmittelkette und können daher zu den Lebensmittelverlusten gezählt werden.

Verluste müssen auch geltend gemacht werden, wenn Tiere zur Bekämpfung von Tierseuchen auf Anordnung getötet werden. Das gilt auch für Tiere, die ohne Aussicht auf Heilung aus Tierschutzgründen nicht zur Schlachtung kommen (EG Richtlinie 2008/98).

Wer hat an der Umfrage teilgenommen?

Insgesamt haben 460 Betrieben an der Online-Umfrage des Thünen-Instituts teilgenommen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vertreten alle Branchen der Primärproduktion:

  • 35 Prozent der teilnehmenden Betriebe sind im Getreidebau tätig,
  • 28 Prozent bei der Erzeugung tierischer Produkte,
  • 15 Prozent beim Anbau von Ölfrüchten,
  • 10 Prozent beim Gemüseanbau,
  • 4 Prozent beim Obstanbau und zu
  • 1 Prozent bei der Aquakultur.
  • Die übrigen 7 Prozent setzen sich aus Branchen wie der Fischerei, dem Hopfen- und Kräuteranbau oder der Saatgutherstellung zusammen.

Die Betriebe beantworteten Fragen zu Lebensmittelströmen, den Ursachen für Lebensmittelabfälle und -verluste sowie zu Maßnahmen, die sie dagegen ergreifen. Außerdem sollten sie zu wichtigen Bereichen der Vorernte- und Ernteverluste sowie zu Möglichkeiten der politischen Unterstützung Auskunft geben.

Letzte Aktualisierung: 21.09.2023

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