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Dezentralisierung der Tierhaltung - Wunschvorstellung oder vorstellbar Betriebsführung, Familie & Personal

Die räumlich sehr konzentrierte Tierhaltung in Deutschland auf die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche zu verteilen, könnte Umweltproblemen entgegenwirken und die Akzeptanz der Gesellschaft für die Tierhaltung steigern. In einem Modellprojekt in Südniedersachsen hat man erste Schritte in diese Richtung versucht.

In einigen Gebieten Deutschlands haben sich über die Jahrzehnte Hotspots der Tierhaltung mit hoher Viehdichte gebildet.
Bild: Landpixel

Es gibt Regionen in Deutschland, die eine besonders hohe Konzentration an Nutztieren haben, allen voran große Teile Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens. In diesen beiden Bundesländern leben fast 33 Prozent aller deutschen Rinder, 60 Prozent aller Schweine und 58 Prozent aller Hühner. Mancherorts liegt die Viehdichte hier bei mehr als drei Großvieheinheiten je Hektar. Zum Vergleich: Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei 0,69 Großvieheinheiten pro Hektar.

Die starke regionale Konzentration der Intensivtierhaltung ist über Jahrzehnte gewachsen. Sie bildet für die meist flächenarmen Betriebe ein bedeutendes betriebliches Standbein und für die gesamte Region eine wichtige Grundlage für die wirtschaftliche Wertschöpfung. In der Folge sind im vor- und nachgelagerten Bereich zahlreiche Unternehmen und Arbeitsplätze entstanden.

In viehreichen Gebieten fällt oft zu viel Gülle an, die nicht mehr auf den betriebseigenen Feldern ausgebraucht werden kann.
Bild: Landpixel

Gleichzeitig kam es aber durch die starke räumliche Konzentration der Viehhaltung zu Problemen im Umweltbereich. Durch den hohen Gülleanfall nahm die Belastung des Grundwassers mit Nitrat stetig zu. Sie übersteigt heute vielerorts die zulässigen Grenzwerte. Hinzu kommen hohe Ammoniak-Emissionen, die nicht unerhebliche Belastungen der Luft mit sich bringen. Gülleüberschüsse, die die Betriebe nicht auf der eigenen Fläche verwerten können, müssen an viehlose Ackerbaubetriebe abgegeben werden und werden dafür zum Teil mehrere hundert Kilometer transportiert.

Zu den Umweltproblemen hat sich in den letzten Jahren noch ein weiteres Problem gesellt: Intensivtierhalterinnen und -halter sehen sich heute einer immer stärker werdenden Kritik der Gesellschaft ausgesetzt, die eine eine andere Art der Nutztierhaltung fordert.

Gibt es Wege aus diesem Dilemma?

Fragen, die aus dieser Problematik abgeleitet werden können, sind:

  1. Lässt sich die starke Konzentration der Tierhaltung vermindern, indem man sie aus Gebieten mit hoher, in solche mit geringer Viehdichte, zum Beispiel in Ackerbauregionen, verlagert?
  2. Kann man dort Tierhaltungssysteme etablieren, die nicht nur umweltgerechter, sondern auch tiergerechter sind und die sich den gesellschaftlichen Ansprüchen annähern?
  3. Welche Voraussetzungen und Anreize müssen in den Regionen geschaffen werden, um die Neugründung von tiergerechten Nutztierhaltungen zu fördern?
  4. Wie kann man in den bisherigen Verdichtungsregionen den Übergang in eine weniger stark konzentrierte Tierhaltung begleiten?

Modellregion geht erste Schritte hin zu einer dezentralisierten Tierhaltung

In der Modellregion nachhaltige Nutztierhaltung Südniedersachsen wird versucht, besonders tiergerechte Haltungsformen zu etablieren, die bei Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Akzeptanz finden.
Bild: Landpixel

Das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium geht mit dem Projekt „Modellregion nachhaltige Nutztierhaltung Südniedersachsen“ einen ersten Schritt. In Südniedersachsen ist die Landwirtschaft klein strukturiert und die Viehdichte sehr gering. Obwohl die Region flächenmäßig etwa ein Drittel von Niedersachsen ausmacht, werden dort nur zwei Prozent der Rinder und Schweine und weniger als ein Prozent des Geflügels gehalten. Dennoch ist ein Bezug zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung vorhanden.

Ziel des Projekts war es herauszufinden, wie in der überwiegend ackerbaulich geprägten Region neue Tierhaltungen etabliert werden können.

Leitgedankte: Wertschöpfung durch Wertschätzung

Der Leitgedanke war laut Projektleiterin Anne Marie Bürger (Landvolk Göttingen) von Beginn an „Wertschöpfung durch Wertschätzung“. Die fehlende Wertschöpfung sollte durch die Etablierung gesellschaftlich gewünschter nachhaltigerer Haltungsformen und einen regionalen Absatz geschaffen werden. Dazu hat man die alle Akteure der Wertschöpfungskette in der Region von der Erzeugung über die Schlachtung und Verarbeitung bis hin zur Vermarktung über die Möglichkeiten der Kooperation informiert und schließlich untereinander vernetzt, um allen Beteiligten auf diese Weise gute Marktchancen zu eröffnen.

„Recht schnell mussten wir jedoch feststellen, dass es in der Region an wichtigen Wertschöpfungsstufen wie Verarbeitung, Lagerung und Logistik mangelt“, sagt Bürger im Rückblick. Eine weitere Erkenntnis war, dass der regionale Absatz höherpreisiger Produkte zwar einzelbetrieblich in der Nische „Direktvermarktung“ funktioniert, in größeren Mengen jedoch nur sehr schwer umgesetzt werden kann.

Vielzahl von Hemmnissen und Unsicherheiten beim Aufbau einer Tierhaltung

Ein Hindernis in der Modellregion ist, dass wichtige Wertschöpfungsstufen wie die Verarbeitung fehlen und erst neu aufgebaut werden müssen.
Bild: Claudiad/E+/Getty Images Plus via Getty Images

Die Modellregion „Nachhaltige Nutztierhaltung Südniedersachsen“ hat Wege aufgezeigt, wenn man in ackerbaulich geprägten Regionen nachhaltige und tiergerechte Tierhaltungen mit einer regionalen Vermarktung aufbauen möchte. Die Ergebnisse der ersten Projektphase machen jedoch auch deutlich, dass es Hindernisse auf dem Weg dahin gibt.

„Der Aufbau einer Nutztierhaltung mit entsprechend hohem Kapitaleinsatz kann nur erfolgen, wenn die daraus entstehenden Produkte gewinnbringend vermarktet werden können“, sagt Anna-Marie Bürger. „In vielen Bereichen der Nutztierhaltung ist dies aktuell aber kaum kostendeckend möglich.“ So gebe es derzeit eine Vielzahl von Hemmnissen und Planungsunsicherheiten. Dazu zählen starke Preis- und Kostenschwankungen, Unsicherheiten im Bau-, Umwelt- und Emissionsschutzrecht und eine verbrauchergerechten Kennzeichnung der Produkte.

Die zentrale Frage für die Modellregion lautet daher: „Wie können Produkte vermarktet werden, die erst mit einem Vorlauf von mehreren Jahren und zu einem höheren Preis verfügbar sind?“ Diese Henne-Ei-Problematik sei eine große Herausforderung in der Vermarktung, so Bürger.

Regionale Vermarktung von Freiland-Hähnchen

Für die Modellregion haben sich auch einige aussichtsreiche Möglichkeiten ergeben. Gemeinsam mit einem Landwirt und zwei Abnehmern wurde zum Beispiel eine Kooperation aufgebaut, bei der Freiland-Hähnchen regional an zwei große Abnehmer mit jeweils mehreren Mensen vermarktet werden.

„Landwirt und Abnehmer sind dabei Partner. Schlachtung, Verarbeitung, Lagerung und Logistik werden von Dienstleistern aus der Region übernommen“, sagt Bürger. „So wird der Landwirt zum Hauptakteur und kann nicht einfach ausgetauscht werden.“

Zur Frage der Verwertung ganzer Tiere hätten die beiden Abnehmer eine Lösung gefunden, die einfach, aber nachhaltig sei: „Sie teilen sich die Teilstücke wochenweise auf. In der einen Woche bekommt ein Abnehmer Hähnchenschenkel und der andere Abnehmer Hühnerfrikassee und in der nächsten Woche geht es andersherum.“

Aufbau von neuen Tierhaltungen erfordert anderswo einen Abbau

Sollte mittel- bis langfristig ein Aufbau von nachhaltigen Tierhaltungssystemen in ackerbaulich geprägten Regionen funktionieren, stellt sich in logischer Konsequenz eine weitere Frage: Wie kommt man in den viehstarken Gebieten zu einem Abbau der Tierzahlen?

Wie man an den Tierhaltungszahlen der vergangenen Jahre sieht, ist dieser Abbau bereits in vollem Gange. In Niedersachsen ist die Zahl der gehaltenen Schweine im Jahr 2022 um neun Prozent und in NRW um mehr als acht Prozent zurückgegangen. Über 300 Betriebe haben in NRW innerhalb eines Jahres aufgegeben, in Niedersachen stellten im gleichen Zeitraum etwa 500 Betriebe die Haltung von Schweinen ein. In Niedersachsen hat sich die Zahl der Schweinehalterinnen und -halter in den letzten zehn Jahren sogar halbiert.

Um einem „ungeordneten Strukturbruch“ entgegenzuwirken, bei dem immer mehr Schweinehalterinnen und Schweinehalter den Betrieb ganz einstellen, möchte die niedersächsische Landesregierung Tierhaltungsbetriebe dabei unterstützen, neue Betriebszweige zu erschließen. Entsprechende Ideen dafür legt sie im „Zukunftsprogramm Diversifizierung“ für die Schweinehaltung vor. Danach soll der Einstieg in andere landwirtschaftliche oder der Landwirtschaft vor- bzw. nachgelagerte Bereiche erleichtert werden.

Letzte Aktualisierung 18.01.2024

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